Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen
Abl UR 1886 nach S. 124 (Beilage 2, 01-16)
Reglement für die Justizbehörden des Kantons Uri
Mittwoch, 31. März 1886
«Der Landrath des Kantons Uri, in Abänderung des Justizreglementes vom 13. August 1881 und seiner Nachträge, in Aufhebung der widersprechenden Artikel der Civil-Prozess-Ordnung und des landräthlichen Dekretes, betr. Förderung des Geschäftsganges im Gerichtswesen vom 4. April 1867, auf Antrag des Kantonsgerichtes, beschliesst und verordnet:
I. Allgemeines.
Art. 1. Bezüglich der Zahl der Gerichte, ihres Geschäftskreises, ihrer Kompetenzen und Beeidigung wird auf die einschlägigen Bestimmungen der Verfassung und Gesetze verwiesen.
Art. 2. Alle Gerichte wählen in der ersten ordentlichen Junisitzung nach erfolgter Partialerneuerung ihren Vizepräsidenten aus der Zahl der Richter und auf 4jährige Amtsdauer.
Art. 3. Die ordentlichen Sitzungstage der Gerichte sind folgende:
a) für das Kantonsgericht der 2. Mittwoch eines jeden Monats.
b) für das Bezirksgericht Uri der 1. und 3. Montag und für dasjenige von Ursern der 1. Mittwoch eines jeden Monats;
c) für das Siebnergericht der 1. und 3. Freitag eines jeden Monats;
Das Kriminalgericht versammelt sich nur dann, wenn Geschäfte vorliegen und zwar in der Regel kurz vor der ordentlichen Sitzung des Kantonsgerichtes.
Gerichtssitzungen, welche in den den ordentlichen Gerichtstagen unmittelbar folgenden Tagen abgehalten werden, gelten als ordentliche Sitzungen.
Die Verlegung einer ordentlichen Sitzung darf nur in dringenden Fällen vom Gericht selbst beschlossen werden und ist rechtzeitig im Amtsblatt zu publiziren.
Art. 4. Ausserordentlicher Weise versammeln sich die Gerichte so oft sie vom Präsidenten einberufen werden, es selbst beschliessen oder die Justizkommission des Kantonsgerichtes es befiehlt.
Bei starker Geschäftsanhäufung sind die Gerichte verpflichtet, häufig ausserordentliche Gerichtssitzungen abzuhalten.
Art. 5. Extra-Gerichtssitzungen können in besonders dringenden Civilfällen von einer oder beiden Parteien verlangt und vom Gerichte auf Kosten der sie verlangenden Partei bewilligt werden.
Die Gerichtskosten sind in einer vom Gerichte zu bestimmenden Höhe von der verlangenden Partei, unvorgreiflich der gerichtlichen Kostenzusprechung, vor der Verhandlung beim Präsidenten zu deponiren.
Extrasitzungen werden in der Regel nur bei solchen Prozessen bewilligt, welche noch nicht auf die Gerichtsliste gestellt worden sind.
Art. 6. Die Richter, Ersatzmänner, Gerichtsschreiber und Gerichtsdiener beziehen das nämliche Sitz- und Marschgeld, wie die Landräthe (siehe Anhang zum Landrathsreglement). Die Bezirksrichter von Realp beziehen ein Marschgeld von 1 Fr.
Das Sitzgeld für ausserordentliche und Extrasitzungen beträgt Fr. 4 per Tag. Das Taggeld für Augenscheine beträgt Fr. 5 und für andere Ausschüsse Fr. 3. Falls damit ein Uebernachten verbunden wird, erfolgt ein Zuschlag von Fr. 2; überdies sind die Fahrtspesen, bezw. ein Marschgeld von Cts. 80 per Wegstunde zu vergüten.
Die bezüglichen Kosten hat die verlangende Partei voraus zu erlegen, unbeschadet der endgültigen Zusprechung an die verlierende Partei.
Art. 7. Die Sitzungen beginnen Morgens 8 Uhr, mit Ausnahme der Monate November, Dezember, Januar und Februar, in welchen sie um 9 Uhr beginnen; sie werden von 11—1 Uhr unterbrochen und dauern Nachmittags bis 4 Uhr.
Acht Tage vor und acht Tage nach Ostern und Weihnachten und an Sonn- und Feiertagen dürfen keinerlei gerichtliche Verhandlungen stattfinden.
Art. 8. Die Richter, Sekretäre, Fürsprechen und Gerichtsdiener erscheinen in schwarzer oder dunkler Kleidung. Ebenso haben die Parteien und Zeugen anständig gekleidet vor den Gerichtsschranken zu erscheinen. Zuwiderhandelnde sind vom Gericht mit einer Ordnungsbusse von Fr. 1 bis Fr. 8 zu belegen.
Art. 9. Die Mitglieder und einberufenen Ersatzmänner sind pflichtig, fleissig und rechtzeitig an den Sitzungen Antheil zu nehmen. Im Falle der Verhinderung hat der betreffende Richter dem Präsidenten Anzeige zu machen, unter Angabe des Grundes.
Richter und Ersatzmänner, welche ohne hinreichende Entschuldigung von einer Sitzung fern bleiben, sind vom Gericht mit einer Ordnungsbusse von Fr. 3—10 zu belegen.
Keinem Richter oder Ersatzmann ist es gestattet, sich vor Schluss der Sitzung, ohne Bewilligung des Präsidenten, zu -entfernen.
Art. 10. Die Gerichtssitzungen sind öffentlich nach Massgabe des Gesetzes über die Oeffentlichkeit der Landraths¬ und Gerichtsverhandlungen, vom 4. Mai 1881.
Art. 11. Für fehlende Mitglieder werden nach einer festgesetzten Kehrordnung Ersatzmänner einberufen. Von derselben darf nur dann Umgang genommen werden, wenn in unvorhergesehenen Fällen die Einberufung der nächstwohnenden Ersatzmänner nothwendig ist.
Dem Präsidenten steht es nebstdem zu, für jede Gerichtssitzung Ersatzmänner einzuberufen, wenn ihm auch keine Ver¬ hinderungsfälle von Richtern bekannt sind.
Art. 12. Das Gerichtsverfahren ist mündlich. Für einseitige Verlangen, wie Verbote, Verschollenheitserklärungen, Todtrufungen, Schuldentrieb, Bénéficia lnventarii, peremtorische Fristen u. s. w. ist das schriftliche Anbringen gestattet. Für Rekurse und Kassationen ist nur die schriftliche Form zulässig.
Wird den bezüglichen Eingaben das Gerichtsgeld nicht beigelegt, so fallen dieselben als ungeschehen dahin.
Art. 13. Die Parteien und ihre Vertreter haben sich vor Gericht und bei Ausschussverhandlungen der Anrede: „Herr Präsident! Meine Herren!" zu bedienen und dem Gericht, Ausschuss und jedem Richter die vollste Achtung zu erweisen. In ihren Vorträgen und Schriftstücken haben die Parteien und ihre Vertreter eine geziemende Form zu beobachten, sich thunlichster Kürze zu befleissen, alles nicht zur Sache Gehörende, sowie Ausfälle gegen und Spöttereien über Behörden, Beamte, Parteien und Zeugen zu unterlassen. Der Präsident ruft sich hiegegen Verstossende zur Ordnung und das Gericht kann sie in eine Ordnungsbusse von Fr. 2 bis Fr. 30 Verfällen. Ein Gleiches kann stattfinden, wenn sich die Parteivertreter in der Replik und Duplik nicht an die vom Präsidenten festgesetzte Zeit halten, sich der Trölerei in Bezug auf die Vornahme oder Erledigung des Prozesses schuldig machen oder die Wahrheit muthwillig bestreiten oder entstellen.
Art. 14. Alle appellablen Civilstreitfälle können im Einverständniss beider Parteien direkt vor das Kantonsgericht gebracht werden. Eine Aenderung des gesetzlichen Jnstanzenzuges tritt überdies nur in Fällen ein:
1. Wo die Amtsehre eines Gerichtes bezw. der ein bestimmtes Urtheil ausfallenden Richter verletzt worden ist, und zwar:
a) bezüglich des Siebnergerichtes oder dessen Richter urtheilt das Bezirksgericht Uri;
b) bei einem der Bezirksgerichte oder dessen Richter oder dem Kriminalgericht oder dessen Richter urtheilt das Kantonsgericht;
c) beim Kantonsgericht oder dessen Richter urtheilt ein Gericht von 11 Mitgliedern, die aus denjenigen Landrathsmitgliedern ausgeloost werden, welche nicht ausstandspflichtig und deren Stellung mit derjenigen eines Richters nicht unvereinbar sind. Die Ausloosung findet durch das Bureau des Landrathes statt.
2. Wenn der Entscheid eines Gassengerichtes, bezüglich civilrechtlichen Streitfällen zwischen auswärts Domizilirten oder zwischen einem solchen und einem Einheimischen, angerufen und ein schneller Entscheid gewünscht wird oder der Natur des Streitgegenstandes oder den Aufenthaltsverhältnissen der Parteien nach geboten erscheint.
Der Bezirksgerichtspräsident ruft alsdann 2 bis 4 ehrenwerthe und unpartheiische Männer zusammen, welche unter seinem Präsidium das Gassengericht bilden. Dasselbe hat Anspruch aus das gesetzliche Sitzgeld, welches jedoch von den Parteien zu bezahlen ist.
Fürsprechen werden keine zugelassen; dagegen dürfen Zeugen beeidigt werden.
3. Wenn ein Civilstreitfall durch einen Schiedsvertrag,. der von beiden Parteien unterzeichnet sein muss, einem Schiedsgericht zugewiesen worden ist. Das Verfahren desselben ist nicht an die Formen der Civ.-Proz.-Ordn. gebunden und wird von ihm selbst streng unparteiisch festgesetzt. Beeidigungen dürfen keine stattfinden. Der Schiedsspruch soll in Anwesenheit der Parteien ausgefällt, schriftlich abgefasst, mit Erwägungen und klaren Dispositiven versehen, vom Präsidenten und Aktuar unterschrieben und den Parteien zugestellt werden. Er ist inappellabel und exequirbar, wie ein ordentliches in Kraft erwachsenes Gerichtsurtheil. Die Urtheile erwachsen sofort in Rechtskraft.
Art. 15. Wenn der Schiedsvertrag nichts Anderes bestimmt, gelten für das Schiedsgericht folgende Grundsätze:
a) falls die Parteien sich über die Wahl der Schiedsrichter oder des Obmann's nicht einigen können, werden dieselben vom Kantonsgericht bezeichnet;
b) als Schiedsrichter ist Jeder wählbar, der in bürgerlichem Ehren und Rechten steht und gegenüber den Parteien oder dem Streitgegenstand nicht ansstandspflichtig ist:
c) es hat sein Urtheil nach bestehendem Rechte, in Ermanglung eines solchen, nach gewissenhafter Ueberzengung abzugeben.
Art. 16. Weibelamtliche Zustellungen und civilgerichtliche Mittheilungen aller Art dürfen nur in der Zeit von Morgens 7 Uhr bis Abends 7 Uhr und nicht an Sonn- und kantonalen Feiertagen, noch während dem Rechtsstillstand gemacht werden. Ueberdies wird auf die Vorschriften über den Rechtsstillstand verwiesen.
Alle weibelamtlichen Zustellungen und Mittheilungen sind schriftlich auf Stempelpapier der betreffenden Person oder in deren Abwesenheit einem erwachsenen Hausgenossen derselben in ihrer Wohnung abzugeben. Bezüglich des Letztern findet eine Ausnahme statt bei Intimationen an Behörden, Amtsstelle und Gesellschaften, welche, in Abwesenheit des Präsidenten oder Vorstehers, dem Stellvertreter zu bestellen sind.
Art. 17. Anwälte und Parteien, welche Akten von der Gerichtskanzlei wegnehmen oder missbrauchen, sind zu bestrafen. Erstere mit Geldbusse bis Fr. 80, im Rückfalle mit Einstellung in der Advokatur bis 3 Monate, letztere mit gleicher Geldbusse oder mit Gefängniss bis 3 Wochen.
II. Gerichtsverhandlungen.
Art. 18. Zu einer gültigen Gerichtsverhandlung ist, vorbehältlich die Anerkennung einer geringern Zahl Richter durch beide Parteien, die Anwesenheit von zwei Dritttheilen der gesetzlichen Richterzahl erforderlich und zu einem gültigen Beschluss die absolute Mehrheit der Anwesenden.
Die Richter nehmen ihre Plätze, rechts und links wechselnd, nach der Reihenfolge ihrer Wahl ein.
Art. 19. Jede Gerichtssitzung beginnt mit der Anrufung des hl. Geistes durch das stille Abbeten von fünf Vaterunser. Hierauf folgt am ersten Tage einer Session die Verlesung und Genehmigung des Protokolls.
Ueber Fragen der Protokollirung haben nur jene Mitglieder Stimmrecht, welche bei Fassung des Beschlusses anwesend waren.
Nach erfolgter Protokollgenehmigung eröffnet der Präsident die ihm eingegangenen Entschuldigungen abwesender Mitglieder oder trotz Aufforderung nicht erschienener Ersatzmänner. Hierauf beginnen die eigentlichen Verhandlungen.
Art. 20. Die Reihenfolge der Geschäftsbehandlung ist folgende:
1. im Kantonsgericht:
a) die appellirten Straffälle;
b) die Erläuterungs-, Revisions-, Rekurs- und Kassationsbegehren
c) die appellirten Civilprozesse, nach der Reihenfolge der eingelegten Berufungen.
2. im Kriminalgericht: Die Prozesse nach der Reihenfolge der Aktenüberweisungen.
3. in den Bezirksgerichten:
a) die Straffälle, incl. Paternitätsfälle;
b) die Schuldentriebsgeschäfte;
c) die einseitigen Vorstände, als Verbote, Verschollenheitserklärungen u. s. w.
d) die Gesuche für Erläuterung, Augenscheine, Akten- und Rechnungsprüfung oder sonstige Spezialausschüsse.
e) die Civilprozesse nach der Reihenfolge der Eingabe.
4. im Siebnergericht:
Gleich wie in den Bezirksgerichten.
Eine Ausnahme von dieser Reihenfolge findet statt, wenn Schaden oder Gefahr im Verzug ist, oder die Entfernung der Parteien, Ausstände u. dgl. sie nothwendig machen.
Art. 21. Nach Schluss der Parteivorträge verliest der Präsident das Rechtsbegehren und benennt die in's Recht gelegten Akten, welche in der Regel vom Gerichtsschreiber nochmals verlesen werden sollen.
Hierauf hält der Präsident die Umfrage wenigstens bei einem Mitglied dem Range nach.
Nach erfolgter Umfrage wird die allgemeine Diskussion eröffnet. Meldet sich kein Mitglied mehr zum Wort, wird die Diskussion als geschlossen erklärt.
Art. 22. Der Präsident stellt die Anträge zusammen und theilt dem Gerichte mit, wie er abzustimmen gedenkt. Eventuell entscheidet das Gericht über die Art der Abstimmung. Dieselbe hat jedoch in allen Fällen nach folgenden Grundsätzen zu geschehen:
a) über die Ordnungsanträge
b) über die Anträge in Hauptsache nach Anleit des Landrathsreglementes Art. 25;
c) über die Kostenfrage.
Art. 23. Die Stimmen werden vom Gerichtsweibel gezählt und dem Präsidenten mitgetheilt, der das Ergebniss dem Gericht verkündet.
Art. 24. Jedes Mitglied ist pflichtig, seine Stimme abzugeben. Der Präsident stimmt nicht, ausser zur Abgabe des Stichentscheides und bei Wahlen. In letztern Fällen entscheidet bei Stimmengleichheit das Loos.
Art. 25. Minderheitsanträge und Verwahrungen gegen Urtheile und Beschlüsse dürfen nicht zu Protokoll genommen werden. Eine Ausnahme findet statt bei Beschlüssen über die Geschäftsordnung.
Art. 26. Einmal gefasste Beschlüsse dürfen nicht mehr zurückgenommen werden, ausser solche über die Geschäftsordnung und Ausfällung von Ordnungsbussen. In diesem Falle bedarf es die absolute Mehrheit aller Mitglieder.
III. Besondere Verrichtungen.
a. der Gerichtspräsidenten.
Art. 27. Die Präsidenten sind verantwortlich für Innehaltung der ordentlichen Sitzungen, die beschlussfähige Versammlung der Gerichte und die möglichst prompte Erledigung der Geschäfte. Sie beeidigen die Richter, Parteien, Zeugen und Sachverständigen.
Art. 28. Sie führen die Kontrole über die Ersatzmänner, besorgen deren Einberufung, führen ein genaues Verzeichniss über die Prozesseingaben, welches die Namen der Prozessparteien, das Datum der Citation, den Streitgegenstand und das Datum und die Art der Prozesserledigung enthalten soll, avisiren schriftlich die Parteien, wann der Prozess auf die Gerichtsliste gesetzt wird, führen dieselbe und halten sie den Landesfürsprechen zur Einsicht bereit. Der Kantonsgerichtspräsident hat in seiner Kontrole überdies den Tag der eingelegten Appellation einzutragen.
Die Avisation der Parteien oder der von ihnen bevollmächtigten Vertreter hat mindestens 8 Tage vor der Gerichtssitzung zu geschehen.
Zitationen ohne Weisungsschein des Vermittlers und solche, welche nicht auf Stempelpapier geschrieben sind, dürfen zur Eintragung in die Kontrole nicht angenommen werden.
Art. 29. Die Präsidenten haben Gerichtsausschüsse oder Sachverständige, sowie den Staatsanwalt und Verhörrichter, welche in Erfüllung erhaltener Aufträge saumselig sind, zu mahnen, Erstere dem Gerichte und Letztere dem Regierungsrathe eventuell zu verzeigen.
Art. 30. Im Falle der Verhinderung des Präsidenten gehen dessen Rechte und Pflichten an den Vizepräsidenten, eventuell an das der Wahl nach älteste Mitglied über.
b. der Gerichtsschreiber.
Art. 31. Die Gerichtsschreiber haben ein genaues Protokoll über die in jeder Sitzung anwesenden Mitglieder und Ersatzmänner und über alle Gerichtsverhandlungen aufzunehmen und zu führen, sowie die eingelegten Akten zu registriren und zu verwahren, wofür sie den Parteien, resp. dem Staate verantwortlich sind.
Für jeden Rechtsstreit — einschliesslich das Révisions-, Rekurs- und Kassationsverfahren — und Straffall ist ein selbstständiges Aktenheft anzulegen.
Ohne Bewilligung des Gerichtspräsidenten dürfen einmal in's Recht gelegte Akten weder den Parteien noch den Fürsprechen aushingegeben werden, bis zur Prozesserledigung.
Art. 32. Die Gerichtsschreiber entwerfen und motiviren die Urtheilssprüche der Gerichte in Vorfragen, Zwischenentscheide und in Hauptsache, legen die Entwürfe dem Gerichte vor und verlesen die Urtheile, nach erfolgter Genehmigung, den Parteien.
Sämmtliche Urtheile müssen wörtlich, wie sie verlesen und den Parteien zugestellt worden sind, in's Protokoll eingetragen werden.
Art. 33. Die Urtheile sind mit folgenden Angaben abzufassen: a) des Gerichtes, des Ortes und der Zeit der Sitzung, mit Angabe ob sie eine ordentliche, ausserordentliche oder Extrasitzung sei;
b) mit deutlicher Benennung des Namens und des Wohnortes des Klägers und Beklagten und ihrer Rechtsbeistände ;
c) den Rechtsbegehren bezw. Einreden der Parteien:
d) den zur Begründung, bezw. Bestreitung vorgebrachten Beweisstücken, als Gesetze, Rechtsgewohnheiten, Gerichtspraxis, Zeugnisse (mit Benennung der Zeugen), Gutachten und Untersuchungs- und Expertenbefunde;
e) den Erwägungen des Gerichtes, in logischer Ordnung und präziser Fassung;
f) schliesslich mit dem Urtheilsspruch in kurzen, klaren Sätzen.
Der Kantonsgerichtsschreiber hat die Urtheile nur dann zu motiviren, wenn die Motive des Gerichtes, bei gleicher Sentenz, von denjenigen der ersten Instanz abweichen, oder die Dispositive geändert werden.
Die Gerichtsurtheile sollen in geziemender Form und Reinschrift ausgefertiget und vom Präsidenten und Schreiber unterzeichnet und timbrirt werden.
Art. 34. Am Schlusse einer jeden Sitzung hat der Gerichtsschreiber dem Präsidenten ein Verzeichniss der an Ausschüsse, an die Staatsanwaltschaft oder das Verhöramt überwiesenen Geschäfte zuzufertigen (siehe Art. 29)
Sämmtliche Ausfertigungen des Protokolls sind vor der Absendung dem Präsidenten zur Einsicht vorzulegen.
Art. 35. Der Gerichtsschreiber besorgt das Sekretariat aller Gerichtsausschüsse.
Art. 36. Die Gerichtsschreiber fertigen die Sitzgeldlisten aus, stellen nach jeder Sitzung sofort ein genaues Verzeichniss der ausgefällten Geldbussen (einschliesslich Ordnungsbussen und eventuell deren Aufhebung) dem Kantonssäckelamt zu und haben für Déposition der muthmasslichen Gebühren für Ausschüsse (Art. 6) zu sorgen.
Art. 37. Im Falle der Verhinderung des Gerichtsschreibers hat ein anderer Landschreiber, eventuell ein Gerichtsmitglied die Stellvertretung zu besorgen.
Art. 38. Alle zwei Jahre sollen sämmtliche Gerichtsprotokolle eingebunden und mit den bezüglichen Akten, welche zu ordnen und zu nummeriren sind, dem Archiv einverleibt werden.
c. der Gerichtsweibel.
Art. 39. Dieselben stehen zur Verfügung der Präsidenten, der Mitglieder, des Gerichtes und der Ausschüsse, sorgen für Handhabung der Ruhe und Ordnung ausser dem Gerichtssaale und verzeigen Zuwiderhandelnde dem Gerichte.
Art. 40. Die Weibel rufen die Fürsprechen, Parteien und Zeugen zum Vortreten, fordern vor Beginn der mündlichen Verhandlung das Gerichtsgeld und dann die erkannten Geldbussen ab, nehmen sofort entrichtete Strafgelder in Empfang und theilen das Sitz- und Marschgeld aus.
Art. 41. Kein Gerichtsweibel darf von der Sitzung ferne bleiben oder dieselbe verlassen, ohne Bewilligung des Präsidenten. Für allfälligen Ersatz hat der Letztere aus der Zahl der Landweibel zu sorgen.
IV. Aufsicht über die Rechtspflege.
Art. 42. Die Aufsicht über die gesammte Rechtspflege übt das Kantonsgericht aus; es ist für dieselbe dem Landrath verantwortlich. Das Kantonsgericht übt diese Aufsicht dadurch aus, dass es
a) nach Gutfinden durch seine Justizkommission Einsicht in die Protokolle und Controlen der verschiedenen Gerichte nehmen lässt, allfällige Verstösse gegen die vorschriftsgemässe Geschäftsführung und Handhabung der bezüglichen Gesetze und Vorschriften korrigirt und die grundsätzlichen Erlasse der untern Instanzen bezüglich Geschäftsordnung und dergleichen prüft. Zu diesem Behuf kann es Berichte einfordern oder Untersuche anheben;
b) Einsicht nimmt von den Controlen der Staatsanwaltschaft und Aussicht führt über dessen Amtsverrichtungen vor Gericht;
c) das Verhöramt in Hinsicht auf die Handhabung der Vorschriften und Instruktionen und den Geschäftsgang kontrolirt;
d) die Amtsführung der Vermittlerämter überwacht und sie nöthigenfalls zur Pflichterfüllung anhält. Dem Kantonsgericht steht die Befugniss zu, Laudesfürsprechen, welche sich zu öftern Malen gerichtliche Ordnungsbussen zugezogen, auf Antrag des betreffenden Gerichtes bis auf vier Monate im Amte zu suspendiren.
Art. 43. Das Kantonsgericht ertheilt über die ihm zur Aufsicht zugewiesenen Funktionen Weisungen und Befehle, denen die betreffenden Gerichte und Amtspersonen nachzuleben haben.
Diese Rechte erstrecken sich jedoch nicht auf einzelne Gerichtsurtheile, ausser wenn das Kantonsgericht als Appellations-Rekurs oder -Kassationsinstanz zu sprechen hat. Glaubt ein unteres Gericht, das Kantonsgericht habe in seinen Weisungen und Befehlen seine Kompetenz überschritten, so mag es den Entscheid des Landrathes anrufen.
Art. 44. Klagen über Missbrauch der Amtsgewalt, Rechts-Verweigerung, Rechtsverzögerung oder andere Informitäten gegen richterliche Behörden oder Beamte sind dem Präsidenten des Kantonsgerichtes schriftlich zuzustellen, der sie dem Letztem vorzulegen hat. Dasselbe kann, nach Einvernahme der Beklagtschaft, Mahnungen oder Rügen ertheilen, Ordnungsbussen ausfällen oder den Fehlbaren vor seine Schranken zu weiterer Bestrafung ziehen. Im Falle schwerer Vergehen oder Verbrechen, denen sich eine gerichtliche Person schuldig macht, kann das Kantonsgericht dieselbe im Amte suspendiren und Ueberweisung an das Kriminalgericht beschliessen.
Art. 45. Das Kantonsgericht entscheidet in Kompetenzkonflikten zwischen untern Gerichtsinstanzen, sowie über ausserordentliche Ergänzung derselben in Fällen von besondern Ausstandsverhältnissen, wobei zunächst Richter und Ersatzmänner eines andern Gerichtes zu berufen sind.
Art. 46. Das Kantonsgericht erstattet alljährlich auf die ordentliche Maisitzung des Landrathes den Rechenschaftsbericht über das gesammte Justizwesen des Kantons. Zu diesem Behuf haben die untern Gerichtsinstanzen, die Staatsanwaltschaft, das Verhöramt und die Vermittlerämter ihre Berichte bis Ende März eines jeden Jahres dem Kantonsgericht zuzustellen, welches hinwiederum den Gesammtbericht bis Ende April druckfertig den Mitgliedern des Landrathes und der Prüfungskommission desselben zur Verfügung stellt.
Art. 47. Klagen gegen die Amtsführung des Kantonsgerichtes sind an den Landrath zu richten.
Art. 48. Das Kantonsgericht setzt fest, welche von seinen Aufsichts-Kompetenzen es der Justizkommission übertragen will. Immerhin darf die Kompetenz derselben für Ausfüllung von Ordnungsbussen nicht hoher als Fr. 20 gestellt werden.
Art. 49. Die Justizkommission bestellt aus dem Kantonsgerichtspräsidenten und vier Richtern (Art. 72 der Verfassung), und wird vom Kantonsgericht auf vierjährige Amtsdauer gewählt.
Alle Entscheide der Justizkommission können an das Kantonsgericht gezogen werden.
Art. 50. Der Kantonsgerichtspräsident stellt Rekurs-Kassations- und Beschwerdeschriften den betreffenden Gerichten oder Amtspersonen zur Vernehmlassung zu, mit Anlegung einer fatalen Frist. Ihm ist es überlassen, den Originalakt oder eine Abschrift zur Vernehmlassung abzugeben.
V. Ausstand.
Art. 51. Es hat sich ein Richter oder Ersatzmann des Ausstandes zu bedienen:
1. In eigener Sache, in Sachen seiner Mündel und Ver¬ wandten bis und mit dem dritten, bezw. vierten Verwandtschaftsgrad, insofern die bürgerliche Ehre in Frage steht.
2. Wenn er Mitglied einer Behörde oder Gesellschaft ist, welche einen Rechtsstreit führt oder die Klage gestellt oder Klagüberweisung beschlossen hat und er bei den bezüglichen Verhandlungen nicht in Ausstand getreten ist.
3. Wenn er Bürger einer Gemeinde ist, welche einen Prozess über Armengenössigkeit oder Heimathörigkeit oder durch Dorfgemeindebeschluss führt. Ist ein Richter in einem Prozesse gegen den Kanton oder Bezirk nicht mehr als jeder andere Kantons- oder Bezirksbürger betheiligt, so findet ein Ausstand nicht statt.
4. Wenn zwischen ihm und einer Partei zur Zeit der Gerichtsverhandlung ein besonderes Abhängigkeits- oder Pflichtverhältniss besteht, wie dasjenige eines Dienstboten, Gesellen, Lehrlings, Geschäftsassocie's oder einer zur Haushaltung gehörenden Person.
5. Wenn er sich durch sein Benehmen als parteiisch gezeigt hat oder mit einer Partei oder einem Angeklagten in Feindschaftsverhältniss steht.
6. Wenn er am Ausgange des Prozesses ein unmittelbares persönliches Interesse hat.
7. Wenn er in der gleichen Sache schon als Anwalts Beistand, Sachverständiger, Geschäftsführer, Bevollmächtigter, Zeuge u. dgl. gehandelt hat oder voraussichtlich noch handeln wird.
Die nämlichen Ausstandsgründe können von den Parteien gegen den Gerichtsschreiber und Abwart geltend gemacht werden.
Sind die Ausstandsgründe den Parteien vor der Urtheilsfällung bekannt gewesen und sie versäumten es, den Ausstand zu verlangen, so verwirken sie damit das Recht auf eine Kassationsklage.
Uebrigens ist jeder Richter bei Eiden pflichtig, ihm bezüglich seiner Person bekannte Ausstandsgründe rechtzeitig dem Präsidenten, bezw. dem Gerichte anzuzeigen.
Art. 52. Die Parteien haben die Ausstandsgründe wenigstens 3 Tage vor der Gerichtssitzung dem betreffenden Präsidenten kund zu thun, immerhin bleibt ihnen das Recht gewahrt, bei den Verhandlungen selbst noch Ausstandsbegehren anzubringen.
In Zweifelfällen entscheidet das Gericht.»
Anhang zum mit Sporteltarif, siehe: Abl UR 1886 nach S. 124 (Beilage 2, 17-35)
> Liste der Änderungen vom 10.04.1890, siehe: Abl UR 1890, S. 224, Beilage S. 1-4.
Reglement für die Justizbehörden des Kantons Uri (10.04.1890, LB UR Bd 01 (1892) S. 115-149.)
Landratsbeschluss vom 12.03.1886.
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JUSTIZWESEN
GERICHTSWESEN
BUNDESGESETZGEBUNG
KANTONALE GESETZGEBUNG
STRAFRECHT
STRAFTATEN
GRUNDRECHTE
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