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Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen

LB UR (1856) Bd IV S. 079-085
Schiedsrichterlicher Spruch betreffend Nutzniessung der Wälder in Sisikon durch die Römerstaldner
Donnerstag, 9. Oktober 1845
   
«Wir Obmann und Mitglieder des eidg. Schiedsgerichts urkunden andurch:
Dass wir in Sachen des h. Standes Uri, Klägers, gegen den h. Stand Schwyz, Beklagten, betreffend Nutzniessung;
Ueber die Rechtsfragen:

a. des Klägers:
„Ob die zur Benutzung der Sisikoner-Waldung Berechtigten zu Römerstalden, in Folge des ihnen durch Urkunde von 1350 zugestandenen, auch jetzt unbestrittenen Benutzungsrechtes unbeschränkt und willkürlich Holz hauen dürfen, und somit der dahin bezüglichen Stelle „unwüstiglich benutzen" ein solchartiger ausgedehnter Sinn beizulegen sei?" Oder:
„Ob nicht vielmehr die Römerstaldner in Ausübung besagten Beholzungsrechtes den gleichen, forstpolizeilichen Gesetzen und Verfügungen in Folge Territorialrechts wie der Urner Angehörige sich zu unterwerfen, und also keine grössere Rechte und Freiheiten, als der eigene Bürger anzusprechen und auszuüben haben?"

b. des Beklagten:
„Ist nicht gerichtlich zu erkennen, es stehe den laut Urkunde von 1350 zur Benutzung der Sistkoner Waldungen Berechtigten zu Römerstalden dieses Recht in so weit zu, dass sie sich aus denselben für ihren eigenen Gebrauch zum Brennen und zu den Liegenschaften in bescheidenem Masse wohl beholzen mögen, und in dieser Benutzung weder durch Gesetze noch Verordnungen, ab Seite des h. Standes Uri gehindert oder beeinträchtig werden sollen?"

Auf Grundlage der eingelegten Akten und der angehörten Partheivorträge;

Da sich ergeben:

Nachdem alle von den Partheien selbst vorgenommenen Versuche, die bezeichneten Streitfragen auf gütlichem Wege zu erledigen, sich zerschlagen, sei vom h. Stande Uri das eidgen. Recht angerufen und als Schiedsrichter
MHHr. Alt-Landammann Wirz, in Sarnen, und
MHHr. Staatsschreiber Meier, von Luzern;

vom h. Stande Schwyz hinwieder:
MHHr. Landammann Baumgartner, von St. Gallen, und
MHHr. Bundeslandammann Brosi, von Chur, bezeichnet worden.

B. Unterm 9. August d. J. seien die bezeichneten Schiedsrichter in Zürich zusammengetreten, haben sich als eidgenössisches Schiedsgericht konstituirt und in der Person Sr. Excellenz des Hrn. Alt-Bürgermeister Mouffon, von Zürich, einen Obmann erwählt, von welchem sodann, gemäss seiner Vollmacht, ein Sekretair und zwar in der Person des Herrmann Rahn, Substituten des Bezirksgerichtsschreibers von Zürich, bestellt worden sei.

C. Auf den 16. August d. J. seien die streitenden Partheien zu weiterer mündlicher Darlegung ihrer Rechtsbegehren vorgeladen worden, und es habe das Schiedsgericht an diesem Tage die Vorträge der zum Prozesse gehörig legitimirten Partheien, als: Namens des h. Standes Uri der hochgeachteten Herren Alt- Landammann und Landeshauptmann Anton Schmid, Alt-Landammann Karl Muheim und Fürsprech Jauch; Namens des h. Standes Schwyz: der hochgeachteten Herren Alt-Landammann Ab Yberg, Landammann Düggelin und Fürsprech Oethiker angehört. Aus denselben ergebe sich im Wesentlichen Folgendes:

1. Laut Urkunde von 1350 sei denjenigen „die im Thale zu Römerstalden angesessen sind, oder Güter darin haben," das Recht zugesichert worden, den Sisikoner Wald, d. h. „den Wald, der nebent dem Bach urnerhalb liegt, herab von dem Katzenzagel mit Hauen unwüstiglich zu geniessen";
2. Ueber die Existenz eines solchen Nutzungsrechtes der bezeichnten Römerstaldner walte unter den h. Ständen Uri und Schwyz kein Streit ob, wohl aber über den Umfang und die Ausdehnung desselben; 3. Unter Berufung auf den Wortlaut und den ganzen Tenor der Urkunde verlange Uri,

a. dass als Massstab der Benutzung der jeweilige Bestand des Waldes angenommen, und die Erhaltung desselben in einem forstwirthschaftlichen Zustande nicht gefährdet werde.
b. dass Schwyz ihm das Recht zugestehe, vorkommende Holzfrevel zu bestrafen, und die in Uri geltenden Forstpolizeiverordnungen auch auf diese Waldung auszudehnen.

4. Schwyz dagegen, ebenfalls auf die erwähnte Urkunde von 1350 und auf eine spätere Uebereinkunft vom Jahr 1821 und 1827 sich stützend, spreche für die Römerstaldner das Recht an, dass dieselben nach ihren Bedürfnissen mit Brenn-, Bau- und Zaunholz sich beholzen dürfen, ohne dass auf den Bestand des Waldes Rücksicht genommen zu werden brauche. Die Jurisdiktion des Standes Uri über die in Sisikon gelegenen Waldungen anerkenne es bloss in dem Sinne, dass dieselbe auf Verfügungen von rein forstwirthschaftlicher Natur sich beschränke, und dem urkundlichen und geübten Rechte nicht zuwider laufe.

D. Gemäss §. 5. des Bundesvertrages sei den Partheien nach Anhörung der Vorträge ein Entwurf zu gütlicher Ausgleichung vorgelegt worden. Unterm 18. August d. J. haben über diesen Entwurf Verhandlungen Statt gefunden, jedoch ohne dass die Partheien sich hätten vereinigen können, und auf die Anfrage des Tit. Hrn. Obmanns, ob die Entscheidung der Sache nunmehr einem Kompromissspruche unterworfen werden wolle, habe Uri eine rechtliche Entscheidung verlangt, darauf gestützt, dass es zu Auswirkung eines Kompromissspruches keine Vollmacht besitze. Es sei sodann das Schiedsgericht (unterm 7. und 8. Oktober) in Rappersschweil zum Abspruche zusammengetreten. —

in Erwägung:

1. Dass in dem obwaltenden Rechtsstreite, sofern er sich nicht bloss aus den Umfang und die Ausdehnung des an sich nicht bestrittenen Nutzungsrechtes an der fraglichen Waldung, sondern auch auf die Frage erstreckt, ob und in wie fern dieses Nutzungsrecht die Befugniss des hohen Standes Uri, auch mit Bezug auf diese Waldungen forstpolizeiliche Verordnungen zu erlassen, und Holzfrevler zu bestrafen, sowohl eine staatsrechtliche als eine civilrechtliche Frage, dem richterlichen Entscheide unterworfen wird;

2. Dass, was die letztere Frage betrifft, nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Civilrechts es keinem Zweifel unterliegen kann, und auch von den Partheien nicht in Widerspruch gesetzt worden ist, dass bei Bestimmung der Ausdehnung und des Umfanges der in Frage stehenden Servitut, die Urkunde von 1350, durch welche dieselbe eben förmlich bestellt worden ist, zu Grunde gelegt werden muss, so lange nicht nachgewiesen ist, dass durch einen spätern Vertrag die im Vertrage von 1350 aufgestellten Bestimmungen aufgehoben oder verändert worden sind;

3. Dass, da die spätern Verträge von 1821 und 1827 lediglich als Bestätigung der Urkunde von 1350 erscheinen, und sich auf dieselbe als Hauptinstrument beziehen, einzig und allein aus die Bestimmungen der Urkunde von 1350 abgestellt werden kann;

4. Dass, wenn nun nach dem Wortlaute dieser Urkunde, „allen denen, die im Thal gesessen sind oder Güter darin haben," das Recht eingeräumt wird, „den Wald mit Hauen unwüstiglich zu geniessen," diesem Ausdrucke kein anderer Sinn unterlegt werden kann, als dass bei der Ausmittlung und Zutheilung des Holzquantums die Bedürfnisse der einzelnen Berechtigten ihre volle Befriedigung erhalten, mit der Beschränkung jedoch, dass dadurch der Fortbestand des Waldes in keiner Weise gefährdet werde;

5. Dass hinsichtlich der zweiten Frage, ob der Regierung des h. Standes Uri das Recht zustehe, mit Bezug auf diese Waldung forstpolizeiliche, auch die berechtigten Römerstaldner bindende Verordnungen zu erlassen, und Holzfrevler zu bestrafen, zwar allerdings keinem begründeten Zweifel unterliegen kann, dass die Jurisdiktion des h. Standes Uri, soweit das Gebiet desselben reicht, überall Anwendung finde und nur da eine theilweise Beschränkung erleide, wo derselbe von sich aus durch vertragsgemässe Uebereinkunft einem Andern Rechte eingeräumt hat, welche den Inhalt der in der Jurisdiktion enthaltenen Befugnisse schmälern und beschränken;

6. Dass nun gemäss den Bestimmungen der Urkunde von 1350, nach welchen „dem im Thal gesessenen, und denen, welche daselbst Güter besitzen," ein Nutzungsrecht an der fraglichen Waldung eingeräumt wird, es sich von selbst versteht, dass diese eingeräumten Rechte durch nachherige legislatorische Bestimmungen nicht aufgehoben oder beeinträchtigt werden dürfen, und sonach allerdings als gerechtfertigt erscheint, dass in Fällen, wo die berechtigten Römerstaldner gegen die Zuteilung des Holzes durch die kompetente Urnerische Behörde Beschwerde erheben zu können glauben, ein unparteiisches, die Rechte der Römerstaldner gleichmässig wahrendes Verfahren einzutreten habe;

7. Dass dagegen dieses Rechtsverhältniss, da es rein civilrechtlicher Natur ist, auf die Untersuchung und Bestrafung von Holzfreveln keinen Einfluss äussern, und daher einzig und allein der Regierung des h. Standes Uri es zustehen kann, solche vorkommenden Frevel zu bestrafen.

Hinsichtlich Dispositiv I. und II. bei gleichgetheilten Stimmen durch Entscheid des Obmanns,
Hinsichtlich Disposttiv III. mit Einmuth,
Hinsichtlich Dispositiv IV. bei gleichgetheilten Stimmen durch Entscheid des Obmanns, zu Recht erkannt haben:

I. Sei das Bedürfniss der berechtigten Römerstaldner an Brenn-, Bau- und Hagholz in vollem Masse zu befriedigen, mit der Beschränkung jedoch, dass dadurch der Fortbestand des Waldes in keiner Weise gefährdet werde.

II. Haben die forstpolizeilichen Verordnungen des h. Standes Uri auch auf die in Frage stehende Waldung Anwendung, mit dem Vorbehalte jedoch, dass in Fällen, wo einer oder mehrere der berechtigten Römerstaldner erachten, es seien ihre Holzbegehren von der nach den Verordnungen des h. Standes Uri kompetenten Behörde nicht gehörig berücksichtigt worden, die diessfälligen Beschwerden durch einen von den betreffenden Kantons- oder Bezirksbehörden beider Stände, Uri und Schwyz, gemeinsam zu bezeichnenden unpartheiischen Ausschuss ihre endliche Erledigung finden sollen.

III. Es stehe der Regierung des h. Standes Uri das Recht zu, die vorkommenden Holzfrevel zu untersuchen und zu bestrafen.

IV. Seien die erlaufenen Gerichtskosten nach Analogie des Beschlusses vom 25. August 1832, betreffend Entschädigung eidgenössischer Kommissionen, zu berechnen und habe Schwyz an dieselben 2/3 tel, Uri 1/3 tel zu bezahlen, die gegenseitig erlaufenen Kosten aber jeder Theil an sich selbst zu tragen.

V. Gegenwärtiges Urtheil soll in Urschrift dreifach ausgefertigt und das eine Exemplar dem h. Vororte, die beiden andern den betreffenden Partheien zugestellt werden.

Also geschehen zu Rapperschweil den 8. Oktober 1815.
Der Obmann: H. Moufson.
Die Schiedsrichter:
Frz. Wirz, Alt-Landammann.
Bernhard Meyer, Staatsschreiber.
Baumgartner, Alt-Landammann.
I. R. Brofi, Bundes-Landammann.
Der Sekretär: Hermann Rahn, Substitut.»

    
Erkenntnis eines eidgenössischen Schiedsgerichts vom 09.10.1845.
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Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 26.8.2018