Katholische Rituale und Ausdrucksformen
Fasten gehört zum religiösen Brauch fast aller Völker. Die Kirche lehnte sich zunächst an die jüdische Fastenpraxis und fastete zweimal in der Woche. Anstelle von Montag und Donnerstag wurden jedoch der Mittwoch und Freitag als Fasttage gewählt. Nach der Tradition war der Mittwoch der Tag der Gefangennahme Jesu und der Freitag sein Sterbetag. Neben dem wöchentlichen Fasten bildete sich schon sehr früh die Fastenzeit als Vorbereitung für die Ostern heraus. Anfänglich beschränkte sich das Fasten auf die Karwoche. In der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts dehnte sich die Fastenzeit nach dem Vorbilde des Fastens Jesu auf 40 Tage (quadragesima) vor Ostern aus.
«Alte» und «junge» Fasnacht
Bei der Berechnung der Fastenzeit bestanden zwei Regeln. Ursprünglich hatte die Fasnacht nämlich erst in der Woche nach dem Sonntag «Invocavit» beziehungsweise «Quadragesima» begonnen, weil in die Zählung der vierzig Fasttage vor Ostern die Sonntage ebenfalls als Abstinenztage einbezogen waren. Diese Regel zeigt sich heute noch in der Bezeichnung «Alte Fasnacht» für genannten Sonntag, auf den ursprünglich die Fastenzeit folgte.
Seit der Synode von Benevent 1091, auf die auch der Ritus der Aschenbestreuung zurückgeht, galt jedoch die Auffassung, dass die Sonntage als Gedächtnistage der Auferstehung Christi, als kleine Osterfeste, vom Fasten ausgenommen werden sollten. Durch diese sonntäglichen Unterbrechungen des Fastens verteilen sich die vierzig Fasttage fortan über einen dementsprechend längeren Zeitraum, weshalb der Fastenbeginn zwangsläufig auf einen früheren Termin rückte, nämlich bereits auf den Mittwoch nach dem Sonntag «Estomihi» beziehungsweise «Quinquagesima», eben dem heutigen Aschermittwoch. Der Mittwoch erhielt seinen Namen von dem Bestreuen mit Asche, das ursprünglich zu den Übungen der Kirchenbusse gehörte. Die Asche wird aus den Palmzweigen des letzten Palmsonntags bereitet und benediziert. Die Gläubigen holen sich in der Frühmesse das Aschenkreuz, das ihnen an Leib und Seele nützen soll. Der Dienstag vor dem Fastenbeginn am Aschermittwoch wurde deshalb bis ins 20. Jahrhundert hinein «Junge Fasnacht» genannt.
Die Geistlichen hatten mit dem Fasten nicht erst am Aschermittwoch, sondern bereits am vorangehenden Montag zu beginnen. Estomihi wurde spätestens nach der morgendlichen Messe deshalb früher auch Pfaffen- oder Herren-Fasnacht genannt.
Die Junge Fasnacht war bis 1900 in Uri der Hauptfasnachtstag. Die Alte Fasnacht behielt eine gewisse fasnächtliche Bedeutung, da das Fastenindult die Leute an diesem Tag noch einmal vom Fasten befreite. Die Alte Fasnacht wurde nach altem Brauch im Kreise der Familie gepflegt. Früher versuchte man sich mit Russ oder Kohlen zu verbrämen. Auf Golzern im Maderanertal pflegte man zu sagen, die Alte Fasnacht sei schwarz gewesen und müsse geschwärzt werden. Leute, die sonst das ganze Jahr kein Schwarzes genossen, «schwarzneten» an diesem Abend. Die Sittenmandate verboten jedoch das Tanzen und das Maskengehen an der Alten Fasnacht; die Freuden hatten sich auf die musikalische Unterhaltung sowie auf kulinarische Genüsse zu beschränken und – das Mädchen, welches an der Alten Fasnacht keinen Bub auf Besuch erhielt, das bekam das ganze Jahr keinen. Trotzdem gingen an diesem Sonntag einige Unentwegte nochmals «ds Maschgäraadä». Mit der Lockerung des Sonntagsgesetzes und der Fasnachtsbestimmungen finden an diesem Sonntag in Uri vereinzelt auch Endbräuche statt. So ertönt in Flüelen ein letztes Mal die Katzenmusik. Als Gegensatz zur Herrenfasnacht wurde die Alte Fasnacht, eine Woche später, mancherorts auch «Puurä-Fasnacht» genannt.
Fetter Donnerstag
Der Begriff «Abstinenz» (abstinentia) bedeutete ursprünglich eine weit gehende Nahrungsbeschränkung. Im Mittelalter umfassten die Fastenvorschriften nebst dem Fleisch den Genuss aller aus Vieh- und Geflügelhaltung gewonnenen Nahrungsmittel wie Fett, Milch, Butter, Käse und Eier. Angesichts der drohenden Enthaltsamkeit wurde nochmals geschlachtet und in grossen Mengen Fleisch verzehrt. Die verderblichen Vorräte sämtlicher unter das Fastengebot fallenden Speisen waren aufzubrauchen. Zwischen zwei traditionellen Fastentagen anerbot sich der letzte Donnerstag vor der Periode der endgültigen Enthaltsamkeit als traditioneller Schlacht- und Backtag und wurde in Uri im 19. Jahrhundert sowohl Fetter als auch Schmutziger Donnerstag genannt.
«Schnäggäsunntig»
Ein wichtiger Kalendertermin ist der vierte Fastensonntag, der nach der üblichen Sonntagsbenennung den Namen «Laetare» trägt, weil das alte Eingangsgebet der für diesen Tag vorgeschriebenen Messe mit den Worten begann: «Laetare, Jerusalem – Freue Dich, Jerusalem». Grund zur Freude gab es früher, als noch streng gefastet wurde, am Sonntag «Laetare» allemal. Mit ihm hatte man nämlich die Halbzeit, die Mitte der vorösterlichen Abstinenzperiode, erreicht, weshalb er unter anderem in Uri auch Mittefasten-Sonntag oder «Schnäggäsunntig» genannt wurde. In Isenthal genoss man gebratene Schnecken. In Seelisberg bereitete man an diesem Tag Pasteten und Birnenweggen zu. In einigen Häusern wurde an diesem Tage – wenn auch verbotenerweise – getanzt. Im Gegensatz etwa zur Groppenfasnacht in Ermatingen am Bodensee oder zur wiederbelebten Strassburger Fasnacht hat der Sonntag Laetare seine Bedeutung als Fasnachtstag in Uri jedoch gänzlich verloren.
Nach der Fasnacht begann die Fastenzeit, es verbreitete sich der Stockfisch-Geruch. Weitere Fastenspezialitäten waren Maccaroni, Froschschenkel, «gedeckelte Schnecken», «Häring und Kässalat». Schnecken wurden als Spezialität an der Alten Fasnacht im «Weissen Haus» angeboten, wo der Wirt eine eigene Schneckenzucht betrieb.
Am Anfang des 21. Jahrhunderts wird zwar wie in den vorangehenden Jahrhunderten noch gefastet, die Enthaltsamkeit hat jedoch nicht mehr nur eine religiöse, sondern vor allem auch eine linienbewusste Funktion. Motivation hierfür ist das Gesundheitsbewusstsein oder das Schönheitsideal. Fasten nennt sich heute Diät oder Wellness-Kur. Light nennen sich Produkte, welche weniger gesüsst und weniger Fett enthalten, weniger Kalorien und damit einher weniger Fettpölsterchen verursachen. Wer auf die Linie schaut, dem zählt die kulinarische Enthaltsamkeit zum Alltag oder ernährt sich – modern ausgedrückt – bewusst. Hat sich das Wohlstandsbäuchchen trotzdem angesetzt, dann werden -zig Methoden angeboten, um zum Waschbrettbauch zurückkehren zu können.
Quellen, Literatur:
Gisler-Jauch Rolf, Fasnächtliches Uri, S. 32 ff.
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DETAILS ZUR FASTENZEIT
Fasten im Volksglauben
Noch im 19. Jahrhundert zählte das katholische Kirchenjahr fast hundertfünfzig Fastentage, u. a. die vierzig Tage von Aschermittwoch (für die meisten Landleute aber vom Fronfastenmittwoch, dem Mittwoch nach der Alten Fasnacht) bis Karsamstag (seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bis zur Abendmahlsmesse am Gründonnerstag) und die vierzig Tage vor Weihnachten. Da die Sonntage bei den Fastenzeiten ausgenommen waren, begann die weihnachtliche Fastenzeit mit dem 11. November. Zu diesen achtzig Tagen kamen alle Freitage und die Quatembertage: Viermal im Jahre waren der Mittwoch, der Freitag und der Samstag Fasttage. Dazu kamen die Vigiltage: Fünf Tage, die als Vortage von grossen Festen (Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen) gehalten wurden, waren Fasttage. Diese zahlreichen Fasttage konnte sich natürlich kaum jemand merken. Damit sie nicht vergessen wurden, schärfte der Pfarrer den Gläubigen jeden Sonntag von der Kanzel aus ausdrücklich ein, ob und wann in der nächsten Woche Fastengebote zu beachten waren.
Die kirchliche Fastenzeit begann mit dem Aschermittwoch. Der Freitag war das ganze Jahr fleischlos, in der Fastenzeit kam noch der Mittwoch dazu. Zu den gebotenen Fasttagen zählte auch der Vortag von hohen Festen (Vigiltag).
Während das Fasten heute eher als spirituelle Erfahrung die eigene Persönlichkeit bereichern soll, war das Fasten früher als Kirchengebot nicht freiwillig. Es war eine streng vorgeschriebene Bussübung, der jeder Katholik nachkommen musste, wollte er nicht abseits der Gemeinschaft stehen und sein Seelenheil aufs Spiel setzen.
Die Fastengebote wurden fast durchwegs streng eingehalten. Es gab zwar seit dem ausgehenden Mittelalter immer wieder Änderungen, doch die Grundregel blieb bestehen: Während der vierzigtägigen Fastenzeit durfte man sich nur einmal täglich sättigen. Es durfte kein Fleisch von vierfüssigen Tieren und Vögeln gegessen werden. Lange Zeit waren auch Produkte dieser Tiere (Eier, Milch, Käse, Butter und tierisches Fett) verboten. Ausserdem gab es Tage, an denen die Zahl der täglichen Mahlzeiten reduziert war (z.B. Sättigung nur einmal am Tag). Oft wurde noch über das vorgeschriebene Mass hinaus gefastet. Während der Fastenzeit waren Belustigungen, Hochzeiten und Tanzanlässe verboten.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 168 f. Literatur: Muheim-Büeler Josef, Domus, S. 256; Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 150.
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Fastenidult
Das so genannte Fastenindult wurde jeweils auf Mitteilung des bischöflichen Ordinariats im Amtsblatt des Kantons Uri veröffentlicht. Mitte des 19. Jahrhunderts war während der österlichen Fastenzeit an den Sonntagen wie an anderen vier Tagen der Woche sowohl mittags als auch abends der Genuss von Fleischspeisen, jedoch unter Ausschluss des Mitgenusses von Fischen, gestattet. Ausgenommen waren der Aschermittwoch, der «Fronfasten-Mittwoch» (auch Quatembermittwoch genannt), alle Freitage und Samstage und die vier letzten Tage der Karwoche. Wer sich des Indults bediente, sollte täglich die Pfarrmesse besuchen oder «im Hinderungsfalle Glaube, Hoffnung und Liebe samt Reue und Leid erwecken, und so reichlich als möglich Almosen geben». Es war zudem Pflicht, eine besondere Beichte und Kommunion vor der österlichen zu verrichten. Erst im Codex iuris Canonici von 1917 kam es zu einer kirchenrechtlich systematischen Darstellung der kirchlichen Fastenregelungen. Der Codex iuris Canonici 1983 enthält sodann lediglich Rahmenbestimmungen. Fasten und Abstinenz sind an Aschermittwoch und am Karfreitag zu halten. Zum Fasten verpflichtet sind alle 18- bis 60-jährigen Katholiken. Die Bischofskonferenzen können Näheres zum Fasten regeln und das Fasten ganz oder teilweise durch andere Bussformen ersetzen.
Literatur: Gisler-Jauch Rolf, Fasnächtliches Uri, S. 34.
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Fastentuch (Hungertuch)
In der Fastenzeit galt es nicht nur auf die Freuden des Essens, sondern auch auf die der Augen, der Augenlust, zu verzichten. Die Fasten- oder Hungertücher dienten dazu, während der vorösterlichen Fastenzeit den Altarraum der Kirchen gegen das Volk hin zu verhüllen. Sie wurden vom ersten Fastensonntag bis zum Mittwoch der Karwoche am Triumphbogen des Choreingangs befestigt.
Während der Fastenzeit wurden die Altäre mit den Hungertüchern verhüllt. Sie wurden über die ganze Kirchenbreite gespannt, um durch die aufgemalten Szenen aus dem Alten und Neuen Testament den vielfach des Schreibens und Lesens unkundigen Gläubigen die grossen religiösen Wahrheiten vor Augen zu führen.
Das Fragment des Altdorfer Fastentuchs von 1421 war eine der bedeutendsten mittelalterlichen Malereien auf Gewebe und zugleich die früheste erhaltene bekannte Malerei eines Fastentuches im gesamten alpenländischen Raum. Das erhaltene Fragment zeigte den Sündenfall sowie die äusserst selten dargestellte Szene von Adams Begräbnis. Unten stellte das angeschnittene Bild Moses vor dem brennenden Dornbusch dar. Rechts oben schloss sich vermutlich die Vertreibung aus dem Paradies an, rechts unten der Durchzug durch das Rote Meer. Das Ganze fügte sich zu einer monumentalen Bildergeschichte zusammen, die dem Volk, das nicht lesen und schreiben konnte, die biblischen Ereignisse auf sinnfällige Art vor Augen führte.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 169 und 303.
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DIE FASTENZEIT IN DER URNER SAGE
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