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Die Altgülte - Kapitalbrief und Dokument

Im Mittelalter waren Geld und Vermögen - wen wundert's - wie heute nicht gleichmässig verteilt. Der eine hatte zu viel, der andere zu wenig. Wer sein Geld hierzulande sicher anlegen wollte, dem standen noch nicht Börse und Bankschalter offen, sondern er kaufte sich eine Rente, eine sogenannte Gült. Mit der Grundbuchbereinigung werden die Urner Gülten seit 1986 abgelöst und durch Schuldbriefe nach ZGB ersetzt. Die Gülten bleiben jedoch wichtige und schöne historische Quellen.
Dr. iur. Franz Schmid hat die Urner Gülten aus rechtshistorischer Sicht in seiner 1910 erschienen Dissertation «Die dinglichen Rechte an Immobilien im Lande Uri in historisch-dogmatischer Darstellung» erforscht. Er definierte die Altgülte als «Kauf eines ewigen Zinses, der grundlastweise, als Reallast, auf ein Grundstück gelegt wurde.» Im Urner Landbuch wird die Gült als Kapitalbrief bezeichnet. Das dingliche Recht des Gültgläubigers machte sich erst in dem Zeitpunkt geltend, als der Schuldner in der Entrichtung des Zinses säumig wurde. Jetzt haftete das Grundstück für die Zinsforderung. Schuldner war der Eigentümer des Grundstücks. Mit dem Verkauf des Grundstücks wurden auch die Altgülten auf den neuen Eigentümer übertragen. Die Altgülte war ursprünglich sowohl unkündbar als auch unablösbar. Der gesetzlich festgelegte Zins (5 Prozent) war an Martini (11. November) dem Gläubiger zu entrichten.

Des Schuldners Bedürfnis nach Ablösbarkeit
Der Schuldner, der in einem finanziellen Engpass sich zur Leistung eines ewigen Rentenzinses verpflichtete, war daran interessiert, seine Schuld wieder zurückzuzahlen. Mit der Genehmigung des Gläubigers wurde deshalb schon früh die Ablösbarkeit dem Schuldner als Vergünstigung eingeräumt und in die Verschreibung aufgenommen. Diese Ausnahme wurde mit der Zeit zur Regel und zum Gewohnheitsrecht schliesslich im Jahre 1628 per Landsgemeindebeschluss zum Gesetz. In diesem Falle wurde die Gült vom Gläubiger verschnitten und dem Schuldner ausgehändigt. Die Verschneidung und Annullierung des Kapitalbriefs hatte auch zu geschehen, wenn die Gült dem Schuldner durch Erb, Kauf oder sonstwie zu Eigentum zukam. Die Unkündbarkeit auf seiten des Gläubigers kam dagegen in Uri nie auf und blieb das Hauptmerkmal der Gült nach urnerischem Recht. Das Kapital war der Kaufpreis für die Rente und konnte somit nicht zurückgefordert werden. Wenn das Grundstück unterging, so verfiel auch die Gült. Das Gültensystem in dieser etwas starren Form der Grundversicherung vermochte den Bedürfnissen des Verkehrs allerdings nicht vollkommen zu genügen. Nicht jedem Gläubiger war damit gedient, sein Kapital so festnageln zu müssen, dass er darüber nie mehr verfügen konnte.
Anfang des 17. Jahrhunderts kam neben dem Gültbrief die so genannte Handschrift auf. Sie wurde gewöhnlich nur auf beschränkte Zeit errichtet. Dem Gläubiger wurde das Recht eingeräumt, nach Ablauf dieser Frist sein Kapital wieder zu künden und einzuziehen. In der Rechtsentwicklung wurde der Unterschied zwischen Gülten und Handschriften stets aufrechterhalten. Ein solcher machte sich vielfach schon äusserlich bemerkbar, indem die Handschriften nicht wie die Gülten auf Pergament, sondern auf Papier ausgefertigt zu werden pflegten.

Trinkgeld und Wucher
Anfänglich war bei der Errichtung von Gülten die Fertigung vor Gericht rechtlich vorgeschrieben. Die Landsgemeinde von 1628 bestimmte, dass alle Verschreibungen durch die geschworenen Landschreiber vorgenommen werden sollen. Die Gülten wurden in der Regel vom Landammann, jedoch auch vom Statthalter oder vom Landschreiber besiegelt. In der Praxis freilich wurde diese Vorschrift nicht immer beachtet und es kamen Verschreibungen vor, die von Privaten, namentlich auch von Ratsherren ausgestellt wurden. Der Gläubiger musste in Gegenwart des Landschreibers dem Schuldner das Geld zahlen. Von dieser Regel gab es jedoch weitgehende Ausnahmen. Ususgemäss wurde dem Zinsschulder schon früh bei der Zinszahlung ein Nachlass gewährt, indem er bei pünktlicher Erfüllung der Zinspflicht meistens zu 4,5 Prozent zinsen konnte. Der Gläubiger gewährte ihm auch vielfach ein Trinkgeld oder verabreichte ihm Speise und Trank.

Alte und neue Gülten
Trotz dem gesetzlich festgelegten Zins von 5 Prozent schlich sich im Gültensystem der Wucher ein. Der Zinskäufer liess sich zwar einen Zinsbrief mit gesetzlichem Zinsfuss ausstellen, bezahlte dem Verkäufer der Rente aber nur einen Teil des Betrages in bar. Nun war wieder der Gesetzgeber gerufen. Er erliess im Jahre 1628 die Bestimmung über «den Abzug des dritten Pfennigs». Der Schuldner konnte nun die Gült jederzeit um zwei Drittel des Nominalwertes ablösen. Der Zins war vom Nominalwert mit 5 Prozent zu entrichten, was in Wirklichkeit, da der Realwert des Kapitals nur zwei Drittel betrug, einen Zins von 7,5 Prozent ausmachte. Mit dieser Vorschrift war der Wucher jedoch keineswegs aus dem Urnerland getrieben. Die Bestimmung hatte jedoch zur Folge, dass man inskünftig zwischen Gülten alter und neuer Währung unterschied. Im Jahre 1672 hatte sich die Landsgemeinde wieder mit dem Wucher zu beschäftigen. Es wurde festgestellt, dass man sich durch die «vermässliche Gutbegirlichkeit der einen und grossen Mangel der andern» über alle Billigkeit hinwegsetzte. In der Not wurden die Gülten gegen Ware oder Vieh - tief unter dem Nominalwert - erstellt. Diesen «wucherischen Contracten» wollte man nun durch «kräftigere» Mittel Abhilfe verschaffen. Die vorgesetzten geistlichen und weltlichen Herren sowie ein Landesausschuss wurden mit der Ausführung dieses Landsgemeindesbeschlusses beauftragt. Nach reiflicher Durchberatung kam man jedoch zum Schluss, alles beim alten und beim buchstablichen Inhalt der Briefe verbleiben zu lassen.

Die Altgülten setzen sich durch
Es war zwar recht und billig, einen Unterschied zwischen den alten guten und neuen schlechtern Gülten zu machen, die Unterscheidung war jedoch nicht immer einfach, da in vielen Gülten nicht mit klaren Worten angedeutet war, welche für Gülten alter oder neuerer Währung anzusehen seien. Der Gesetzgeber hatte daher ein grundsätzliches Unterscheidungsmerkmal aufzustellen. Mit Landsgemeindebeschluss von 1673 galten als Altgülten alle Gültbriefe, welche vor 1628 erstellt und diejenigen, in welchen das Wörtchen «alt» in Bezug auf die Gült speziell erwähnt wurde, sowie solche, welche hinsichtlich der Währung «100 für100» oder «Gulden für Gulden» festhielten. Bei den nach 1628 errichteten Gülten, wo das Wort «alt» fehlte, und welche die Ablösung für 100 Gulden mit «nach Landsbruch und Rächt» oder «66 fl. und 8 gut Batzen» formulierten, galten als neue Gülten. Das Volk war jedoch den neuen Gülten weiterhin nicht sehr hold. Die Landsgemeinde von 1675 hat schliesslich die neuen Gülten ein für allemal untersagt und die drückenden, wucherischen Zinse verboten. Die Altgülten hatten sich durchgesetzt und sie behielten ihren Namen.

«Giltägrämpler»
Der Gültenhandel war ein eigentliches Geschäft. Die Unterhändler schlugen ihren Profit meistens auf Kosten des Schuldners, dem Wucher blieb Tür und Tor geöffnet. Die Nachgemeinde von 1673 sprach zwar ein diesbezügliches Verbot aus; der Gültenhandel wurde damit jedoch nicht unterdrückt. Dieser Beruf war vor allem für ältere Weibspersonen anscheinend massgeschneidert. Eine gute Unterhändlerin hatte zu wissen, bei welchen «Giltägrämpler» Nachfrage nach guten Gülten bestand, und sie hatte auch Leute zu kennen, welche aus irgendeinem Grunde Gülten zu verkaufen wünschten und gleichzeitig Wert darauf legten, dass dieses materielle Bedürfnis nicht allgemein bekannt wurde. Der Gültenhandel hat ausgangs des letzten Jahrhunderts für einige Personen anscheinend noch gut floriert.

Die Altgülte als historisches Dokument
Im Zusammenhang mit der Grundbuchbereinigung wurden im Kanton Uri seit 1986 die Altgülten sukzessive abgelöst und dem Schuldbrief nach ZGB gleichgestellt. Verschollene Altgülten wurden für kraftlos erklärt.
Wertvoll bleibt sie jedoch als historisches Dokument. Die Altgülten geben einmal Auskunft über die Besitzesverhältnisse auf einem Grundstück. Als Spezialität werden in den Urner Gülten stets die Grenzen des eingesetzten Grundstücks genau angegeben.
In den Gülten sind auch die vorangehenden Pfandrechte gewissenhaft aufgeführt. Die Gülten bilden somit wertvolle Quellen für Forschungsarbeiten, welche sich mit der wirtschaftlichen Situation der Bevölkerung auseinandersetzen. Durch die genaue Datierung der Gült lassen sich die Amtszeiten der Landschreiber und der siegelnden Amtsperson genauer festlegen. Schliesslich bietet das Siegel noch die heraldische Auskunft über die Führung der entsprechenden Familienwappen.

Das Staatsarchiv als idealer Aufbewahrungsort
All diese Informationen der Altgülte können wissenschaftlich nur verwertet werden, wenn sie der Forscherin und dem Forscher zugänglich sind. Die abgelösten Altgülten wären deshalb auch auf dem Staatsarchiv am richtigen Platze. Dies sieht auch Artikel 4 der Verordnung über das Grundbuch vor. In der Vergangenheit durfte das Staatsarchiv denn ausprivater Hand einige Altgültengeschenke entgegennehmen. Der Regelfall ist jedoch, dass die Altgülten von den Eigentümern nach den Bereinigungsarbeiten zurückverlangt und zu Hause aufbewahrt werden. Die Freude und das Interesse an diesen historischen Schriftstücken ist verständlich. Wird die Altgülte zur Dekoration aufgehängt, ist dies zwar ein schöner Anblick, doch verbleicht mit der Zeit die Schrift bis zur Unkenntlichkeit. Ausserdem kann das Siegel brechen und zerfallen. Schriftstück und Siegel gehören untrennbar zusammen, letzteres sollte deshalb nicht abgeschnitten werden.

Dr. Rolf Gisler-Jauch (URIkon)

 

 
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Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 12.03.2018