Geburten, Mutter- und Vaterschaft
Die Geburten fanden früher fast ausnahmslos daheim statt. Sogar Frauen, die wussten, dass ihnen eine schwere Geburt bevorstand, gingen nicht ins Spital. Jede Gemeinde hatte eine Hebamme, grössere sogar mehrere. Entbindungen im Spital kamen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt auf.
Die Hausgeburt unter Anleitung einer Hebamme war eine Angelegenheit unter Frauen. Wenn die Wehen einsetzten, zündete man zuhause oder in einer Kapelle Kerzen an. Angehörige und Bekannte beteten für eine risikolose Geburt, hauptsächlich zur heiligen Notburga und zum heiligen Ignatius. Frauen, die in Geburtsnöten waren, tranken Ignatius-Wasser, das mit einem besonderen Segen versehen war, oder versprachen den Kauf eines Heidenkindes. Die Mütter und die Hebammen wussten noch eine Menge anderer Vorbeugungs- und Hilfsmittel. Die erfahrenen Hebammen waren unentbehrliche Beraterinnen. Die Mütter hatten häufig niemand anders, dem sie ihre Sorgen und Beschwerden anvertrauen konnten. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, in welcher Situation sich eine Frau befand, die einer Geburt entgegensah. Sie hatte ausser ihrem Mann kaum eine Person, mit der sie reden konnte, denn das Reden über diese Dinge war unüblich und nicht schicklich. Das Tabu, das über allem Geschlechtlichen lastete, war für viele Frauen schier unerträglich. Das Wort Geburt war, wenn nicht ganz tabu, so doch höchst unschicklich. Beim Landvolk hiess es kaum, eine Frau habe geboren. Dazu gab es Deckwörter.
Jede Geburt war bis ins 20. Jahrhundert sowohl für die Mutter als auch für das Kind mit grosser Lebensgefahr verbunden. Weit häufiger als bei der bereits risikoreichen Geburt war der Tod im Kindbett. Das Kindbettfieber war eine gefürchtete Erkrankung. Auch die Säuglingssterblichkeit war bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts hoch. Die Ursache für die hohe Sterblichkeit waren vielfältig: schlechte hygienische Bedingungen, ungenügende Ernährung und Infektionskrankheiten. Keuchhusten, Diphtherie, Masern oder Scharlach verliefen im 19. Jahrhundert oft tödlich. Es gab Leute, die schlugen nach einer Geburt sofort die «Brattig» (Hauskalender) auf und erkundigten sich nach den astrologischen Zeichen. Es bestand der Glaube, dass ein Sonntagskind ein glückliches Kind und ein Fronfastenkind geistersehend war.
Nach der Geburt war die erste Sorge, das Kind am Leben zu erhalten und zu veranlassen, dass es bald getauft wurde. Denn es gehörte zum Schlimmsten, ein ungetauftes Kind sterben zu sehen. Die Hebamme gab dem Kind Weihwasser. Mehrfach belegt war der Brauch, dass man die Nachgeburt im Keller des Geburtshauses vergrub. Von Frauen, die bei der Geburt starben, hiess es, dass sie direkt in den Himmel kamen, dass sie aber zurückkamen, um ihr Kind zu stillen.
Für die Frauen konnte die Geburt den Tod im Kindsbett zur Folge haben. Beim Kind sorgte man sich bis zur Taufe vor allem um dessen Seelenheil. Verständlich, dass sich diverse Mittel fanden, die die Mutter und das Kind während der Geburt vor dem Einfluss böser Mächte schützten und ihnen Kraft verliehen. Wehenkreuze sollten der Frau die Geburt ihres Kindes erleichtern. Die Gebärende hielt dazu das Kreuz in der Hand oder es wurde ihr auf den Bauch gelegt, was zusätzlich das Kind im Mutterleib stärkte. Die Kreuzform, die als das Schutzsymbol schlechthin angesehen wurde, und die Segnung des Wehenkreuzes durch einen Priester verliehen diesem Schutzmittel eine sakrale Bedeutung. Auf der Rückseite befand sich oft das Monogramm für Jesus und Maria, von denen Hilfe erbeten wurde. Die Form des Kreuzes war nicht von Bedeutung; man kannte Wehenkreuze als lateinische Kreuze oder Patriarchenkreuze. Viel wichtiger war dagegen das Material, aus dem Wehenkreuze hergestellt waren. So waren sie meist aus Steinen, wie Bergkristall, Malachit oder Achat, gefertigt. Es fanden sich aber auch Kreuze aus Sternkoralle, Muschelkalk oder Steinbockshorn. All diesen Materialien schrieb man eine geburtsfördernde Wirkung zu.
Eine dem Wehenkreuz ähnliche Funktion und Anwendung erfüllten die Wehenfläschchen. Diese filigranen, meist birnenförmigen Glasfläschchen enthielten Reliquien, am besten solche des heiligen Ignatius von Loyola, der als Begründer des Jesuitenordens gilt. Man verehrte ihn als Schutzpatron der Frauen und Kinder und erbat bei schweren Geburten seinen Beistand.
Doch nicht nur die Frau brauchte Beistand. Auch dem Kind drohte bereits während der Geburt Gefahr. Deshalb nahm die Mutter bei der Geburt etwas Ignatius-Wasser ein, um dadurch das noch ungeborene Kind vor dem Teufel zu schützen. Das neugeborene Kind wurde so schnell wie möglich getauft, denn die Furcht war sehr gross, dass sich der Teufel der unschuldigen Seele bemächtigte. Bereits während der Geburt, glaubte man, rang der Teufel um die Seele des Kindes. Davor schützte das Ignatius-Wasser. Auch bei Tiergeburten gab man dem Muttertier Ignatius-Wasser zu trinken, um schlechte Einflüsse fernzuhalten.
Bedeutungsvoll in der Geburtshilfe waren die Fortschritte der Medizin und der Chirurgie. Mit der Eröffnung des Kantonsspitals Uri im 1872 tat man einen entscheidenden Schritt in Richtung wissenschaftsorientierter Geburtshilfe. Die erfolgreiche Anwendung des Kaiserschnitts wurde erst im Kantonsspital möglich. Wöchnerinnen, die an der Geburt gestorben waren, wurden fortan regelmässig seziert und Todesursachen sowie Fehler bei operativen Eingriffen in einem schriftlichen Sektionsbefund festgehalten. Die Spitalgeburt brachte nicht nur Fortschritte in medizinischer und chirurgischer Hinsicht. Die Bedeutung der Hygiene bei der Geburt und im Umgang mit dem Säugling wurde hier beispielhaft demonstriert, ebenso die richtige Ernährung und Pflege des Neugeborenen und der Wöchnerin.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 209 ff. Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 207 ff.; Hofmann Lea, Anhängen, zeigen; S. 53 f.
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GEBURTEN IN URI
(Angaben folgen)
1977: 11 Zwillimghsgeburten; 2016 9 Zwillingsgeburten
(> Bundesamt für Statistik, UW 83, 18.10.2017, S. 1.)
Statistik: Statistisches Lexikon der Schweiz (1991-2014).
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DIE BELIEBTESTEN VORNAMEN IN URI
Jahr | | Mädchen | | Knaben |
2022 | | Mia, Lena, Alessia (4) | | Leo, Matteo () |
2021 | | Mia (5) | | Leano () |
2020 | | Laura, Lorena (3) | | Luca () |
2019 | | Luisa (4) | | Jonas () |
2018 | | Emilia, Enya, Mia (4) | | Jonas () |
2017 | | Julia, Laura (5) | | Nico () |
2016 | | Lena, Leonie (5) | | Jan () |
2015 | | Emma. Lina (5) | | Tim () |
2014 | | Lina (6) | | Samuel () |
2013 | | Lea, Lina, Nina (4) | | David, Elias, Gian, Jonas, Lukas, Manuel (3) |
2012 | | Lena (6) | | Julian (7) |
2011 | | Julia (5) | | Leandro, Nik (5) |
2010 | | Lara (5) | | Jonas (6) |
2009 | | Sara (6) | | Matteo (8) |
2008 | | Jasmin (4) | | Jan, Simon (6) |
2007 | | Julia, Laura, Sara (5) | | Aaron, Luca. Nico, Noel (4) |
2006 | | Nina, Leonie, Jasmin, Elin (4) | | Jonas, Mario, David, Livio, Tim (4) |
2005 | | Julia (4) | | Marco (8) |
2004 | | Lea, Aline, Céline, Julia, Anja ( (4) | | Luca (6) |
2003 | | Julia (8) | | Marco (7) |
2002 | | Julia, Jasmin (6) | | Simon (8) |
2001 | | Jasmin, Nadine, Nina, Rahel (4) | | Simon, Michael () |
2000 | | Jasmin (7) | | Thomas, Tobias, Roman () |
DIE BELIEBTESTEN VORNAMEN IN DER DEUTSCHSCHWEIZ
Jahr | | Mädchen | | Knaben |
2022 | | Emma | | Noah |
2021 | | Mia | | Noah |
2020 | | Mia | | Noah |
2019 | | Mia | | Liam |
2018 | | Emma | | Liam |
2017 | | Emma | | Noah |
2016 | | Mia | | Noah |
2015 | | Mia | | Noah |
2014 | | Emma | | Noah |
2013 | | Mia | | Noah |
2012 | | Mia | | Noah |
2011 | | Mia | | Leon |
2010 | | Lena | | Noah |
2009 | | Laura | | Luca |
2008 | | Lara | | Tim |
2007 | | Lena | | Tim |
2006 | | Lena | | Luca |
2005 | | Lara | | David |
2004 | | Lea | | Luca |
2003 | | Lea | | Luca |
2002 | | Laura | | Luca |
2001 | | Laura | | Luca |
2000 | | Laura | | Luca |
DETAILS ZUR GEBURT, MUTTER- UND VATERSCHAFT
Abtreibung
Die Kirche verurteilte die Abtreibung als grosse Sünde. Im Volk galt sie als verabscheuungswürdiges Vergehen gegen das menschliche Leben. In der Familie wurde der Schleier des Tabus darüber ausgebreitet. Dies war wohl einer der Gründe, warum über die Abtreibung so wenig bekannt war. Die soziale Not während Jahrhunderten lässt heute wesentlich mehr Abtreibungspraktiken vermuten.
Die betroffenen Frauen kannten verschiedene natürliche Abtreibungsmittel (z.B. Seifenlauge, Petersilie oder «Sefi»). In äusserster Not wagten sie sich zu einem «Engelmacher«» (Arzt, Hebamme, Heiler oder Person ohne medizinisches Wissen), der oft unter misslichen Verhältnissen und mit nicht medizinischen Mitteln (u.a. Stricknadeln, Chemikalien) eine illegale Abtreibung vornahm. Nicht selten führten diese Eingriffe zu schweren Komplikationen (z.B. Blutungen, Infektionen, Unfruchtbarkeit) und Todesfällen.
Autor: Walter Bär-Vetsch, Volksfrömmigkeit, S. 21.
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Aussegnung
Schon im Alten Testament bestand die Vorstellung, dass eine Frau durch Schwangerschaft und Entbindung unrein wurde. Daher bedurfte sie eines Reinigungsaktes (Lev. 12, 1 – 8). Dieser bestand in der Aussegnung (Fürsegnung), die vorerst exorzistischen Charakter hatte, dann aber zum Dank- und Segensritual wurde.
Früher mussten das Kind und die Hebamme zum Aussegnen (Fürsegnen) zur Kirche mitgenommen werden; später ging die Wöchnerin mit einer Begleitperson dorthin oder liess den Geistlichen ins Haus kommen. Ledigen Müttern blieb der kirchliche Segen verwehrt. Die Formen der Aussegnung waren örtlich verschieden. In der Regel wartete die Mutter bei einer Seitentüre der Kirche, bis der Priester, mit Chorrock und Stola bekleidet, zu ihr kam. Ein Ministrant begleitete ihn mit Weihwasserspritzer und Schemel, auf den sich die Kindbetterin zu knien hatte. Der Geistliche gab ihr eine brennende Kerze in die Hand, führte sie mit gleichzeitigem Auflegen der Stola zum Muttergottesaltar, wo die Segensgebete gesprochen wurden. Die Kindbetterin gab dem Priester meist eine Geldgabe, die er als Almosen wertete. Nach dieser Segnung blieb die Mutter noch eine Weile auf der Altarstufe knien.
Obwohl die Aussegnung von der Kirche schon lange keine Verpflichtung mehr war, hielt das Volk am alten Brauch fest. Dies hing mit der Vorstellung zusammen, nach denen die unreine Mutter bösen Mächten ausgesetzt war. Man hatte Angst, dass sie genommen werden konnte. Weil deshalb der Gang vor die Dachtraufe für sie gefährlich war, musste sie bei ihrem ersten Gang ins Freie, die zur Aussegnung in die Kirche führte, immer eine Begleitperson mitnehmen. Meist war dies die Frau, die während des Wochenbettes den Haushalt besorgte. Später durfte die Kindbetterin sogar alleine zur Aussegung in die Kirche gehen.
In Flüelen kannte man die Aussegnung noch bis 1962/1963. Eine Mutter aus der Göschneralp, die 1969 ihr ältestes Kind im Spital gebar, liess sich noch aussegnen. In Isenthal fanden bis 1954 Aussegnungen statt.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Kraft aus einer andern Welt, S. 65 f. Literatur: Gisler Karl, Geschichtliches, Sagen und Legenden aus Uri, S. 188; Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 55, 268; Muheim-Büeler Josef, Domus, S. 225.
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Kindbettfieber
Das Kindbettfieber ist eine Infektionskrankheit, die nach einer Entbindung während des Wochenbettes oder nach einer Fehlgeburt auftreten kann, insbesondere auch im Falle einer unvollständigen Nachgeburt, und durch eine vom Beckenbereich ausgehende Gebärmutter- oder Bauchfellentzündung eine lebensbedrohliche Sepsis darstellt.
Bis in das 19. Jahrhundert war das Kindbettfieber eine der Hauptursachen für die hohe Wöchnerinnensterblichkeit. Zusätzlich verschärft wurde die Situation, als Krankenhäuser gegründet wurden und auch Ärzte in der Geburtshilfe tätig wurden. Vor allem die Ärzte kamen in Berührung mit anderen Kranken und Leichen; da die Notwendigkeit einer wirksamen Desinfektion unbekannt war, verschleppten sie an ihren Händen und Instrumenten Keime in die Geburtswege der Frauen. In Uri entbanden jedoch die weitaus meisten Frauen weiterhin ausserhalb der Krankenhäuser.
Literatur: www.wikipedia.de (2021). Statistik: Ritzmann-Blickenstorfer Heiner (Hg.); Historische Statistik der Schweiz, Zürich 1996, S. 328.
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Kirchenlöchli
Das Kirchenlöchli («Chilä-Lechli») gehörte zur Infrastruktur jeder Pfarrei. Nach damaliger theologischer Lehre gehörten ungetaufte Kinder nicht auf den geweihten Friedhof.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 116.
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Tod im Wochenbett
Wöchnerinnen, die noch vor der Aussegnung verstarben, konnten im Extremfall eine ähnliche Behandlung wie Verbrecher, Selbstmörder oder Ungläubige erfahren. Frauen im Wochenbett galten als unrein. Dahinter stand die alte Vorstellung, dass Blut kultunfähig machte und die entsprechende Person einer Reinigung bedurfte. So wurden auch Wöchnerinnen erst mit der Aussegnung durch einen Geistlichen (ungefähr sechs Wochen nach der Niederkunft) wieder in die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Noch bis ins 18. Jahrhundert kam es vor, dass im Wochenbett verstorbene Mütter ausserhalb des Friedhofs in ungeweihter Erde beigesetzt wurden.
Während der Geburt und während des Wochenbetts wechselte die Wöchnerin die Bettwäsche nicht, weil die reine Wäsche das Blut anzog und somit Gefahren mit sich brachte.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 563 f. Literatur: Lehner Esther, Sterben und Tod, S. 104 f.; Renner Eduard, Goldener Ring, S. 154.
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Ungetauftes Kind
Wenn ein Kind bei der Geburt starb oder tot zur Welt kam, konnte es, da die Seele den Körper verlassen hatte, nach der Ritualordnung nicht getauft werden. Damit aber erfolgte auch keine Bestattung mit Grabstätte in der geweihten Erde eines Gemeindefriedhofs, da diese nur für christlich Getaufte reserviert war. Ebenfalls sehr schwierig war die Situation bezogen auf die konventionalisierten Jenseitsvorstellungen, da eine visio dei (Gottesschau-Erleuchtung) im Himmel wegen des entbehrten Sakraments unmöglich erschien. Andererseits kam ein Aufenthalt in der Hölle oder im Fegfeuer nicht in Betracht, weil das Kind nach aller Gewissheit niemals Sünden hatte begehen können. Ungetaufte Kinder waren also vom Himmelreich ausgeschlossen, wurden nicht auf dem Friedhof (geweihte Erde) beerdigt und konnten deshalb nicht in den Himmel kommen. Bei einigen Friedhöfen war an der äussersten Ecke der Friedhofsmauer eine kleine Eisentüre angebracht, die in einen Schacht führte, in den die Leichen der ungetauften Kinder hinabgelassen wurden (Totälechli).
Die ungetauften Verstorbenen kamen an einen Ort, wo sie die Herrlichkeit Gottes nicht ersehnen konnten. Kinder, die ohne Taufe starben, kamen an einen Ort in der Ewigkeit, wo weder Freud noch Leid war und hiessen ungefreute Kinder. Das Volk nannte die ungetauften verstorbenen Kinder (vor der Taufe verstorbene Kinder) auch unschuldige Kinder.
Eine theologisch bestimmte Antwort auf die Frage nach dem Verbleib dieser tauflosen Kinderseelen war der Limbus puerorum. Mit Limbus puerorum benannte man, begrifflich analog zum Limbus patrorum, dem Jenseitsort der Propheten und Kirchenväter des Alten Testaments, den Aufenthaltsort der Kinderseelen ausserhalb des Fegfeuers und der Hölle. Eine Jenseitssphäre ohne Strafe und Reinigung also, aber auch ohne eigentliche Gnade, ohne Anschauung Gottes. Der Limbus war abgegrenzt von der Hölle, aber doch ein Teil der Unterwelt, nicht des ewigen Himmelreichs. Die deutsche Übersetzung mit Vorhölle verriet, dass für die Hinterbliebenen dort ein ewiger Aufenthalt keine akzeptable Vorstellung war.
Dämonologische Sagen erzählten, dass sich diese Kinder einem dämonischen, geisterhaft umherwirrenden Wilden Heer bzw. einer Wilden Jagd anschliessen mussten. Weitere historische Erzählmotive behandelten sie als Irrlichter. Allen diesen Motiven gemeinsam war, dass die ungetauften Kinderseelen als geisterhaft und immateriell, als blosses Heulen und Wimmern oder auch als flackernde Lichtpunkte umherirrend, unruhig, als ortslos, als nirgendwohin gehörend beschrieben wurden und an bestimmten Terminen sich den Lebenden wahrnehmbar machten, augenscheinlich, um nachträglich die Taufe zu erhalten. Besprengte sie jemand mit Weihwasser oder gabt ihnen auch nur einen Namen, hörte ihre Irrsal in der Erzählung auf.
Andere, weit schlimmere Sagen suggerierten, dass die ohne sakramentale Versorgung und in ungeweihter Erde begrabenen Kinder nicht vor dem realen Zugriff des Teufels geschützt waren, und dessen Handlanger die kleinen Körper raubten, um aus ihrem Fett zauberhafte Substanzen herzustellen. Eine solche soziale Situation war für Eltern, die um das Kursieren solcher Schauergerüchte wussten, nicht erträglich.
Einen Ausweg hin zur Ruhe bot die Erweckungstaufe. Auch die Begriffe Taufmirakel oder Kinderzeichnen wurden zuweilen dafür verwendet: Man brachte das Kind an eine Sakralstätte und richtete Gebete an die dort kultmässig verorteten Heiligen zur Vermittlung eines wunderbaren göttlichen Eingreifens, um zumindest eine kurzanhaltende, taufnotwendige Wiedererweckung des Lebens hervorzurufen. Wenn das eigentlich tote Kind dann zeichnete, wenn also der Körper Zeichen gab, d. h. wenn etwa in irgendeiner Weise Farbveränderungen der Haut oder Bewegungen oder Blutfluss sichtbar wurden, führte der Priester eine Nottaufe (Jähtaufe) aus. Wenn danach das Wiedereintreten des Todes gemeinschaftlich festgestellt worden war, konnte der Kindkörper dann in geweihter Erde begraben werden. Oft suchten Eltern, gegebenenfalls Verwandte und/oder die Hebamme, Wallfahrtsorte auf, um dort eine taufnotwendige Erweckung zu erreichen und das Kind auf dem dortigen Friedhof dann zu begraben. Diese Verfahren waren populär konventionalisiert, nicht aber durch Kirchenrecht sanktioniert.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 588 f. Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 416.
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SAGENHAFTES ZUR GEBURT, MUTTER- UND VATERSCHAFT
Fehlgeburten wegen schlechter Behandlung der Schwangeren
«Auf Haldi lebte ein Mann, der furchtbar hart und unvernünftig mit seiner Frau umging. Einst, da ihre Niederkunft nahe bevorstand, schickte er sie noch zu einer schweren Arbeit. Sie wollte sich entschuldigen und wies auf das Kindlein, das sie unter dem Herzen trug. Er aber wurde nur noch wilder und brüllte sie an: „Ä, chum-mer doch nitt mit dynä Filänä!“ Zur Strafe kam sein nächstes Kind mit zwei je einem Rossgrinde ähnlichen Köpfen zur Welt. Ein anderer ebenso roher Gatte sagte in einem ähnlichen Fall: „Ja, d'r Tyfel hesch byn-d'r!“ Da gebar die Frau eine Schlange.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 735.
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Fronfastenkinder sehen mehr
«Frau Muheim, eine Hebamme, die ein Fraufastenkind war, hat ihn gesehen auf dem Miststock hinter dem alten Gasthaus zum Ochsen; er zündete mit seinem Auge so hell, dass sie trotz finsterer Nacht eine ganze Strecke weit ohne Licht gehen konnte.»
«Är isch halt äs Fraufastächind gsy, dem hennt-si alli Geister miässä la gseh.»
«Ich bin ein Fronfastenkind und sehe deshalb mehr als andere Leute.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 1496, 492 g, 1586.
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Für ein Kind gibt es kein besseres Werk als die Taufe
«Deshalb verzögerte sich die Taufe und das Kind starb ungetauft ... Das war manchem eine Warnung. Es gibt nämlich kein besseres Werk, als einem Kinde zur Taufe, also zu einer christlichen Seele zu verhelfen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1231.
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Kindstod ohne irdische Nahrung («Wesperli»)
«Alte Leute behaupten, jene Kinder, die sogleich nach der Taufe sterben, ohne das Geringste, ohne auch nur die kleinste irdische Nahrung von dieser Welt gekostet zu haben, seien die schönsten Engel und hätten die grösste Freude im Himmel. Ja, es gab Mütter und gibt vielleicht noch solche, die extra aus diesem Glauben die neugeborenen Kinder 24 Stunden ohne jegliche Nahrung liessen.»
«Jene Kinder, die nach der Taufe sterben, ohne irgend eine irdische Nahrung, „äs wältlichs Chestli“, genossen zu haben, nennt man Wesperli oder Wesperchind, „das sind die schönsten Engelein“. Der obgenannte Volksglaube reicht also wohl in die Zeit zurück, da man den nüchternen Kindern nach der hl. Taufe auch die hl. Kommunion erteilte; daher die Betonung des weltlichen Köstleins im Gegensatz zur geistlichen Nahrung der hl. Kommunion.»
«“Myner Müetter“, fügt die Erzählerin bei, „isch äu äss Gottächind nah d'r Tauf gstorbä. Wennd-si von'm redt, säit-s'm nur: mys Weschberli.“»
«Das isch äss Weschberli gsy, äss Chind, wo nah d'r Täuf stirbt, ep's ä wältlichi Choscht gnossä het. Dass gäb näiwä-n-äso scheeni Ängäli, hennt-s alligs wellä ha.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 93 a und c, 1375, 1511.
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Um unschuldiges Kind soll man nicht weinen
«Wenn ein unschuldiges Kind stirbt, soll man nicht weinen; die Tränen tun ihm weh, sie fallen auf sein Hemdchen und machen es nass.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1156.
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Verstorbene Mutter erscheint den Kindern
«Auf dem Wasen in Göschenen stand eine Kindbetterin zu früh auf, was ihren Tod verursachte. Nachdem sie gestorben, wurde sie von ihren Kindern gesehen.»
«Ein Schächentaler, den ältere Leute noch gekannt haben, hat es selber erfahren, dass seine Frau, die von einem ganz kleinen Kinde weggestorben war, längere Zeit nachts kam und das arme Tröpfli pflegte und ihm die Ordnung hielt.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 1120, 1121.
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FAMILIE
SAKRAMENTE
Taufe
Heilige Kommunion
Firmung
Ehe
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