Gesetzesbestimmungen
Gesetz betreffend den Ausstand in den Behörden
LB UR Bd 01 (1892) S. 176-180
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Sonntag, 4. Mai 1890
Gesetz betreffend den Ausstand in den Behörden.
(Vom 4. Mai 1890.)
«Die Landesgemeinde des Kantons Uri, In Ausführung des Art. 13, Absatz 2, der Verfassung, auf den Antrag des Landrathes, beschließt:
Art. 1. Im Landrathe haben Mitglieder und Regierungsräthe in Ausstand zu treten:
a) in persönlichen Angelegenheiten, sowie bei Vergebung oder Begutachtung von Staatsanstellungen die betreffenden Mitglieder, die Verschwägerten und Blutsverwandten der betheiligten Personen bis in den 2. Grad;
b) bei Eingaben von Gemeindeversammlungen die Vertreter der betreffenden Gemeinden;
c) bei Eingaben von Gemeindebehörden, Corporationsräthen, Gesellschaften, Genossenschaften, Comites und Volksbegehren die Mitglieder bezw. Unterzeichner derselben;
d) bei Berathung von Vorschriften über die Amtsverpflichtungen einer bestimmten Staatsanstellung der Inhaber derselben, sowie seine Verschwägerten und Blutsverwandten bis in den 2. Grad;
e) bei Berathung einer Rechnung der Rechnungsführer, seine Verschwägerten und Blutsverwandten bis in den 2. Grad;
f) bei Genehmigung der Amtsrechnungen und Rechenschaftsberichte die Mitglieder der die Rechnung oder den Bericht erstattenden Behörden;
g) wenn er als gerichtliche Instanz zu urtheilen hat, die Mitglieder und Ersatzmänner der im Prozeßfalle betheiligten oder betheiligt gewesenen Gerichte, sowie die mit den Prozeßparteien Verschwägerten und Blutsverwandten bis in den 3. Grad.
Art. 2. Die Ausstandsbestimmungen des Art. 1 gelten, soweit sie als zutreffend erscheinen, auch für die vollziehenden Behörden, deren Direktionen und Kommissionen, sowie für das Landammannamt.
Bei Entscheiden von Rekursen gegen selbständige Verfügungen und Erlasse des Landammannamtes, der Direktionen oder Kommissionen haben die betreffenden Mitglieder sich der Stimmabgabe zu enthalten.
Bei Beschwerden über die Amtsführung von Behörden oder einzelnen Mitgliedern derselben oder bestimmten Amtsstellen haben die Betreffenden in Ausstand zu treten. Es bleibt jedoch den Austretenden das Recht der Vernehmlassung gewahrt.
Art. 3. Die Gerichtspersonen haben in Ausstand zu treten:
a) in eigener Sache, in Sachen ihrer Mündel, Verschwägerten und Verwandten bis in den 3. Grad;
b) wenn sie einer Behörde oder einem Verbände angehören, der einen Rechtsstreit führt, Klage gestellt oder Klagüberweisung beschlossen hat, oder wenn sie in einer Behörde bereits in Sache gehandelt haben;
c) wenn sie Bürger einer Gemeinde sind, welche einen Prozeß über Armengenössigkeit oder Heimathörigkeit oder durch Beschluß einer Gemeindeversammlung führt.
Ist eine Gerichtsperson in einem Prozesse des Kantons oder einer Korporation nicht mehr als jeder Kantons- oder Korporationsbürger betheiligt, so findet ein Ausstand nicht statt;
d) wenn zur Zeit der Gerichtsverhandlung zwischen einer Gerichtsperson und einer Partei ein besonderes Abhängigkeits- oder Pflichtverhältniß besteht, wie dasjenige eines Meisters, Dienstboten, Gesellen, Lehrlings, Angestellten, Geschäftstheilhabers oder einer zur Haushaltung gehörenden Person;
e) wenn sie Anlaß zur Besorgniß der Befangenheit geben, sei es in Folge eines Feindschafts- oder besonderen Freundschaftsverhältnisses zu einer Partei;
f) wenn sie oder ihre Verschwägerten oder Verwandten bis in den 3. Grad ein unmittelbares persönliches Interesse an einem Entscheide haben oder letzterer den Ausgang eines, sie betreffenden, anhängigen Falles beeinflussen könnte.
Art. 4. Die Ausstandsbestimmungen des Art. 3 finden, soweit sie zutreffend erscheinen, auch Anwendung auf die Vermittlerämter, die Staatsanwaltschaft und das Verhöramt.
Im Falle eines Ausstandes des Vermittlers und Vize-Vermittlers bestellt der Gemeinderath einen außerordentlichen Stellvertreter aus den wahlfähigen Einwohnern der Gemeinde.
Die Staatsanwaltschaft und das Verhöramt haben Fälle, in denen sie ausstandspflichtig sind, dem Stellvertreter zu übergeben, bezw. dem Regierungsrathe zuzustellen.
Art. 5. Für die Gemeindebehörden gelten die Ausstandsbestimmungen des Landrathes, bezw. des Art. 2 dieses Gesetzes.
Sofern sie jedoch Strafbefugnisse ausüben, fallen die Ausstandsbestimmungen für die Gerichtsbehörden in Betracht.
Art. 6. Die Mitglieder und Ersatzmänner sämmtlicher Behörden und die Inhaber der in diesem Gesetze genannten Amtsstellen haben den Ausstand zu beobachten:
a) wenn sie in der betreffenden Sache in der Eigenschaft als Anwalt, Beistand, Sachverständiger, Bevollmächtigter, Geschäftsführer oder Zeuge handelten;
b) wenn sie mit dem Anwalt, Vertreter oder Bevollmächtigten einer Partei im Verhältnis von Schwiegervater zu Schwiegersohn oder im 1. Grad blutsverwandt sind;
c) wenn vom Entscheid einer Angelegenheit für sie Nutzen oder Schaden an ihrem Privatgute oder an ihrer Privatehre erwächst, vorbehältlich Erlasse allgemeiner Natur.
Art. 7. Schreiber und Abwart haben nur in denjenigen Behörden in Ausstand zu treten, denen sie in dieser Eigenschaft zugetheilt sind, in welchem Falle die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes auch für sie gelten.
Art. 8. Jeder Ausstandspflichtige ist bei seinem Amtseide bezw. bei seiner Amtspflicht schuldig, ihm bekannte Ausstandsgründe vor Behandlung des betreffenden Geschäftes dem Präsidenten bezw. der Behörde zur Kenntniß zu bringen.
Art. 9. Wird eine Ausstandspflicht bestritten, so entscheidet die betreffende Behörde bezw. die Auisichtsbehörde der betreffenden Amtsstelle (beim Vermittleramt der Gemeinderath). Vorbehalten bleiben die verfassungsmäßigen Aufsichtsrechte und die Bestimmungen der Prozeßordnungen.
Während den Verhandlungen über den Ausstand haben die betreffenden Mitglieder abzutreten.
Quelle:
Landsgemeindebeschluss vom 4. Mai 1890.
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RECHTSAMMLUNGEN
ABKÜRZUNGEN
LG = Landsgemeinde
eLG = Extra-Landsgemeinde
NG = Nachgemeinde
LR = Landrat
RA = Rat
WR = Wochenrat
AR = Allmendrat
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