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Kiltgang und Nachtbuberei

In der dunklen Tagszeit hatten auch die Nachtbuben ihren Auftritt. Im Alpenraum bildeten die unverheirateten jungen Männer der Gemeinde eine mehr oder weniger fest geschlossene Gemeinschaft und übten eine Reihe von Funktionen aus. Die Knabenschaften unterwarfen die Neueintretenden einer Kraft- oder Geschicklichkeitsprobe. Sie nahmen für sich das Recht in Anspruch, unwillkommene fremde Freier von den Mädchen der Gemeinde fernzuhalten. Bei der Verehelichung ihrer Mitglieder musste vom Hochzeiter eine Ablöse (Polterabend) aufgeworfen werden. Die Knabenschaften traten bei Übergriffen von Gemeindemitgliedern auf, die rechtlich nicht geahndet wurden, wie bei missliebigen Eheschliessungen. Die Knabenschaft war aber auch diejenige Gruppierung, welche sich Masken anzog und sich zu den wilden Zügen scharte. Nachtbuben rotteten sich in Uri an geheimen Orten zusammen, vergnügten sich beim Kartenspiel, zogen aus, um Leute – vor allem alte Weibsbilder – zu necken oder waren zum «Gschändä» unterwegs. «G'schändige» Nachtbuben plünderten Kirschbäume, entwendeten den Kopf einer Steinstatue, stürzten ein «Gädäli» um. Beliebt waren die Kraftproben: das «Häägglä» und das Achsel-Putschen! Die Urner Sage gab den Nachtbuben den Glasscheibenhund oder den Steghund zum Begleiter, liess ihn dem feurigen Reiter oder Gespenstern begegnen oder schickte ihm plötzlich den Teufel als Kumpanen. Diese Gespenster und Dämonen waren immer nur Begegnungen mit dem Imaginären; dass die Nachtbuben diese Geisterwesen mit denselben dämonischen Masken selber nachgeahmt und dadurch zu vertreiben versucht hätten, finden sich keine Hinweise. Der Nachtbube war mit einem Stock bewaffnet, scheute das Licht, war Voyeur – blickte vom Dunkel der Nacht in die Helle der Häuser.

Nachtbuben gehen auf Brautschau
Als Nachtbube war auch der Freier unterwegs, welcher zu seinem Mädchen «ds Stubätä», «ds Gass» oder «ds Liächt» ging. Wurde ein Mädchen in seiner Wohnung erblickt, rief er ihm nach gemeinem Nachtbubenbrauch «Hüss-Jumpfärä» zu. Hatte ein Nachtbube bei einem Mädchen Erfolg und wurde er eingelassen, war er inskünftig heimlich als Einzelgänger, als anerkannter Werber, unterwegs. Der Kiltgang war jedoch nicht ohne Tücken. Böse Neider oder gar Gespenster lauerten ihm auf. Wenn ein Jüngling im Nachbardorf eine hübsche Tochter freite, musste er sich auch vor der dortigen Knabenschaft in Acht nehmen. Wenn er auf dem Kiltgang erwischt wurde, lief er Gefahr, dass man ihn «trogte», also in einen Trog voll kalten Wassers warf. Wenn jemand «ds Stubätä» ging, musste er auch gewärtigen, dass ihn ein Nebenbuhler mit dem «Harusruf» ausser Haus befahl, um mit ihm zu ringen und zu zeigen, wer der Stärkere sei.

Spielstuben im Urserental
Im Urserental standen den Nachtbuben auch Stuben für ihre nächtlichen Treffen zur Verfügung. In Altkirch in Andermatt bestand ein altes Dorfhaus (Ratsstube), in welchem man jeweils die Fasnacht feierte. Auch in Hospental gab es eine Stube, in welcher die Fasnacht durchgebracht wurde. Der Kiltgänger ging in einer besonderen Kleidung. Früher waren Igelkappen (Kopfbedeckungen aus der stacheligen Haut der Igel) und Igelhandschuhe sehr beliebt. Dazu trug man Lederhosen, die sich über Generationen vererbten. Eine andere Nachtbubentracht, welche bis Ende des 19. Jahrhunderts getragen wurde, war das weisse Hirthemd und die weisse «Zittelchappä». Die Nachtbubentracht wirkte als Bann, für Eduard Renner in seinem «Goldenen Ring» ein deutlicher Hinweis auf die magische Bedeutung der Verkleidung. Wurde mehreren Nachtbuben Einlass gewährt, konnte bald beim Klange der Handorgel und der Mundharmonika ein frohes Tanz- und Festtreiben aufleben, das nur gestört wurde, wenn ein anderer feindlicher Trupp vor dem Hause erschien und durch Pfeifen, Johlen, Händeklatschen, Harusrufe die glücklichen Tänzer zum nächtlichen Kräftemessen herausforderte. Die Feinde waren meist Burschen anderer Jahrgänge oder aus andern Dörfern. Eine kleine Rauferei durfte kein Nachtbube fürchten, wenn er sich nicht der Verachtung der Mädchen aussetzen wollte. Der Feind hatte es nicht immer auf den Kampf abgesehen, sondern vielfach nur heimtückisch «eppis agreiset». Es gab also im Nachtbubenleben Gründe genug, welche einerseits eine Vermummung rätlich erscheinen liessen, anderseits bestimmte und genaue Kennzeichen für den Freund nötig machten. So suchte sich jeder Trupp mit primitiven Mitteln seine eigene Tracht und Maske zu schaffen.

Grenzen der Nachtbubereien
Das Landbuch setzte den Nachtbuben Grenzen. Strafe für Nachtbuberei bestand etwa in 6 Tagen Arbeit am Sustbau. Für das Gesetz bestand die Nachtbuberei auch in nächtlichem Schiessen. Den Tatbestand hatte auch erfüllt, wer nach 10 Uhr abends im Wirtshaus noch trank. Bei schweren Fällen konnte einer auch am Leib oder mit Militärdienst bestraft werden.
Die Sage tabuisiert für Nachtbuben Orte und Handlungen wie etwa Friedhöfe oder das Offenlassen von «Chiähtirli» und das Entwenden von Hagstecken. In den Sittenmandaten wurde der nächtliche Übermut angeprangert, welcher «mit buotzen wyss» geschah, insbesondere wenn nachts «biderben» Leuten Schaden zugefügt wurde. Bei Strafe verboten war namentlich «in butzen wyss» umherzulaufen. Hier wird das vermummte Auftreten mit Maske unter Strafe gestellt. Untersagt war weiter das «liechtfertige nächtliche Redtverkehren», ungebührende «Jolereien» sowie das Lichtauslöschen. Im 20. Jahrhundert verschwanden die Nachtbuben immer mehr. Der Tag zog sich immer länger in die Nacht hinein. Die ständig zunehmende Mobilität machte den Kiltgang zur nächtlichen Fahrt. Immer jüngere Buben wurden vom Elternhaus in die Nacht entlassen. Die braven Bürger beschwerten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Urner Zeitungen über Nachtruhestörer und machten Vorschläge zur Selbsthilfe in der Form, dass man diesen einige Kilos «ungebrannter Asche» oder einige Kannen «Ächter von der Firma Bucke» spendieren würde. In der Zeitung wurde vermeldet, dass es besonders Minderjährige, noch christenlehrpflichtige Burschen, wären, welche nach Mitternacht ganze Quartiere mit Lärm und Krach aus dem süssen Schlafe aufweckten. Die Eltern sollten ihre jungen Söhne von solcher Sitte abhalten. Es sei hierfür noch früh genug, wenn sie Haar unter der Nase hätten.
Originelle Nachtbubenstreiche kamen zwar vereinzelt noch vor, wie etwa dann, wenn man in der Nacht eine vor dem Zeughaus ruhende Kanone, dem an der Bahnhofstrasse wohnenden Kreiskommandanten vor das Gartentor stellte. Die Originalität flachte jedoch immer mehr ab und machte dem Vandalismus Platz, bei welchem sich meistens alles nur noch um die Flasche drehte: Erst wurde sie geleert und dann zerstört – und dann noch anderes mehr!

Autor: Gisler-Jauch Rolf, Fasnächtliches Uri, S. 46 f.; Quellen, Litaeratur: Müller, Sagen aus Uri, Bd. 1, S. 24, Bd 3, S. 90, 221; Renner, Goldener Ring, S. 115 f.; StAUR RR 2, 38; Mandat vom 28.12.1815, in: StAUR R-540- 11/11.; Mandat vom 28.12.1764, in: StAUR A-540; Wymann, Sittenmandate, S. 251; UW 12/1910, 46/1920.

DETAILS ZU DEN NACHTBUBEN UND ZUM KILTGANG

DIE NACHTBUBEM UND DER KILTGANG IN DER URNER SAGE

 
MASKENBRÄUCHE

Maskenbräuche
Maskenrechte
Disziplinierung
Arme Seelen
Nachtbuben
Drapoling
Einzelne Masken


 

 

 

Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 12.12.2019