Register der Volksfrömmigkeit
Dreissigster
Dreissig Tage nach dem Tod eines Verstorbenen wurde «dr Dryssigsch(t)» gefeiert (früher sieben Tage nach dem Tod auch «dr Siibät»). An diesem Totengedenk-Gottesdienst (Seelenamt) mit anschliessendem Grabbesuch nahmen nicht nur die Verwandten teil, sondern auch viel Kirchenvolk aus der Pfarrei. In der Kirche wurde ein Seelenamt mit anschliessendem Libera (mit Tomba) gefeiert. Man trug nochmals Trauerkleidung und ging nach dem Gottesdienst zum «Lyychäässä» in eine Wirtschaft.
Bis zum «Siibätä» gingen die ortsansässigen Familienangehörigen eines Verstorbenen jeden Morgen möglichst vollzählig zur Kirche. Nachher war die Trauerfamilie bis zum Dreissigsten in der Regel noch mit mindestens einer Person am Morgengottesdienst dabei. Man brachte jeweils eine Rodelkerze mit und zündete diese während der Messe an. Meist war es aber «d
Dryyssigschtbätteri», die für das Mitbringen und Anzünden des Rodels besorgt war. Vom Beerdigungstag bis zum Dreissigsten beteten die Angehörigen der Verstorbenen nach dem Werktagsgottesdienst immer einen Rosenkranz. Da die Männer an dieser Andacht selten teilnehmen konnten, mussten sich die Frauen dieser Ehrenpflicht unterziehen.
Es war beim Volk allgemein bekannt, dass eine verstorbene Person bis zum Dreissigsten im Hause noch Platz beanspruchte. Sie behielt ihren Platz am Familientisch, sie bekam dort ein Gedeck, und es durfte im Totenzimmer nichts verändert werden. Für die verstorbene Person liessen die Angehörigen während den dreissig Nächten nach dem Tod zur ihrer Seelenruhe ein Öllichtlein, das Dryssgischtliächtli, im Hause brennen. Der Brauch war noch bis in die 1930er-Jahre lebendig.
Gräbt, Siebenter, Dreissigster, Jahrestag und sogar ewige Jahreszeiten sorgten für das Seelenheil der Verstorbenen, während die Hinterbliebenen, nach Massgabe dieser Tage, die Trauer sichtlich ablegten (z.B. in der Bekleidung) und sich wieder vermehrt irdischen Dingen zuwandten. So fand am Dreissigsten die Teilung statt. An diesem bedeutsamen Tag ging der Besitz jener Dinge, um die der Verstorbene tagtäglich neu hatte ringen müssen, endgültig von ihm auf andere über.
«Dryyssgischbätä»
Das Dryyssgischbätä wurde in den Urner Pfarreien noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gepflegt. Im Trauerhaus versammelten sich allabendlich Familienangehörige und Nachbarn zum Rosenkranzgebet oder wenigstens zu einem kleinen Psalter. Dieser Brauch hatte eine nicht zu unterschätzende soziale Komponente, insbesondere bei tragischen Todesfällen.
«Dryyssgischliächtli»
Ein Dryyssgischliächtli war ein Oellicht, das man jede Nacht bis zum Dreissigsten für die Seelenruhe von verstorbenen Personen brennen lies. Es wurde auch Armen Seelen-Licht genannt.
«Dryssigschtbätteri»
«Dryysigschtbätteri» nannte man jene Frau, die die Angehörigen eines Verstorbenen beauftragten, von der Beerdigung bis zum Dreissigsten zur Kirche zu gehen und dort für die Seele des Verstorbenen zu beten. Häufig hielt sie auch die Gräber in Ordnung war für das Nachfüllen von Weihwasser auf dem Friedhof verantwortlich. Solche Frauen – sie besorgten häufig auch die Totenwache in den Häusern – gab es in jeder Gemeinde.
Das «Dryyssigsch-Bätä» wurde in den Urner Pfarreien noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gepflegt. Im Trauerhaus versammelten sich allabendlich Familienangehörige und Nachbarn zum Rosenkranzgebet oder wenigstens zu einem kleinen Psalter.»
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 135 ff. Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 122; Renner Eduard, Goldener Ring, S. 253 f.
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NACHWEISE
«Es war einmal eine Frau, die auf Bestellung der Leute bei den Gräbern der Verstorbenen auf dem Friedhof Gebete verrichtete und im Rufe der Frömmigkeit stand. Man hielt grosse Stücke auf ihr, denn sie mumpfelte und murmelte, als müsste sie allein alles erbeten.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 124.
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VOKLSGLAUBEN
DAS NACHSCHLAGEWERK
Kraft aus einer anderen Welt
Zeichen und Handlungen
des Volksglaubens und der Volksfrömmigkeit
in Uri
Walter Bär-Vetsch, Altdorf
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