Register der Volksfrömmigkeit
Jerichorose
Die Rose von Jericho (Anastatica hierochuntica), auch Auferstehungspflanze oder Wüstenrose genannt, ist in den Wüstengebieten von Israel, Jordanien, auf dem Sinai und in Teilen von Nordafrika beheimatet. Da ihre Wurzelverankerung im Sand sehr schwach ist, wird sie nach dem Eintrocknen durch den Wind weggerissen und kann als Kugel kilometerweit fortgetragen werden (Chamaechorie).
Das Besondere an der Jerichorose, einem Kreuzblütengewächs, ist das Ergrünen aus dem vertrockneten Zustand. Legt man die Pflanze ins Wasser, so entfalten sich die eingerollten Ästchen und Blätter und färben sich innerhalb eines Tages dunkeloliv. In diesem Stadium kann man sie etwa eine Woche in einem Glas mit Wasser belassen. Danach sollte man sie, damit sie nicht zu schimmeln beginnt, ganz austrocknen lassen, bevor man den eingerollten Pflanzenknäuel wieder zum Erblühen bringen kann.
Diese Wiederbelebungen sind nicht irgendwelche wundersamen Phänomene, sondern basieren auf einem rein physikalischen Vorgang. Die vertrocknete, einem Vogelnest gleichende Pflanze ist tatsächlich abgestorben. Bei der «Wiedergeburt» saugen sich die Zellen durch Kapillarkräfte voll Wasser, unter der hydrostatischen Spannung entfalten sich die Blätter, ohne dass sie die Assimilation wieder aufnehmen. Die tote Pflanze dient aber dem Schutz der Samen, die in der Natur nach einem kräftigen Regenguss sofort wieder zu keimen beginnen.
Um die Auferstehungspflanze rankten sich zahlreiche Legenden. So vererbte sie das Volk über Generationen als Glücksbringer. Sie verdankte ihr ewiges Leben einer Segnung der Jungfrau Maria auf der Flucht nach Ägypten oder umgekehrt verlieh sie ihrerseits Maria ein ewiges Leben. Ihren Namen hatte die Rose von Jericho vermutlich nach der Bibelstelle in Jesus Sirach 24, 14: «Wie eine Palme zu Engedi wuchs ich empor, wie eine Rosenpflanze in Jericho.» Pilger brachten sie im Mittelalter als begehrtes Andenken nach Europa.
Die Jerichorose wurde als Amulett zur Geburtserleichterung gebraucht, weil sie sich – analog dem Geburtsvorgang – langsam öffnete. Man stellte die ausgetrocknete Pflanze neben einer Gebärenden in ein Glas Wasser oder legte sie auf den Mutterleib. Man glaubte, dass das wunderbare Auseinandergehen der Zweige das Öffnen des Mutterschosses symbolisierte. Erblühte die Rose, dann sollte alles gut kommen, erblühte sie nicht, genas die Frau nicht und war des Lebens nicht sicher.
Eine wichtige Rolle spielte die Jerichorose auch im Weihnachts- und Sylvesterorakel. Man stellte sie in einem Glas Wasser auf den Tisch. Das Volk benützte sie – wie die Zwiebel – zu einem Orakel in der Heiligen Nacht. Öffnete sich die Pflanze bis zum Morgen, war dies ein Zeichen für ein gutes Jahr. Blieb sie geschlossen, befürchtete man Unglück.
Auch in Einsiedeln konnten Jerichorosen als Wallfahrtsandenken gekauft werden. In unserer Gegend besass man da und dort in Familien eine Jerichorose. Sie wurde von Generation zu Generation vererbt. Dieser Umstand führte zum Sprichwort: «So alt wie eine Jerichorose».
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. …. Literatur: Büchler-Mattmann Helene und Tschumi-Häfliger Hedy, S. 32 f.; Kälin Detta, Zauberwahn und Wunderglauben, S. 40; Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 247; Niederberger Hanspeter, Hirtler Christof; Geister, Bann und Herrgottswinkel, S. 138.
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