Register der Volksfrömmigkeit
Kerze
Die brennende Kerze in Kirchen, Kapellen und Häusern war wahrscheinlich das weitest verbreitete und beliebteste aller volksreligiösen Brauchtümer. Die Verwendung der Kerze erstreckte sich vom feierlichen Gottesdienst bis zum Anheimstellen eines verborgenen Anliegens in einer kleinen Kapelle und zum Allerseelenlichtlein im dunklen Keller eines Hauses.
Im volkstümlichen Kirchenbrauch erschien die Kerze bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem in Prozessionen, wo die Mitglieder des Kirchenrates, mit langen schwarzen Prozessionsmänteln bekleidet, grosse Kerzen trugen. Volksbräuchlichen Charakter hatte in der Kirche die Kerzenbank, auf der während den Seelenämtern Kerzen oder Wachsrodel zum Trost der Armen Seelen brannten. Lebendig war der Brauch, dass man zum Trost der Armen Seelen im Haus selber oder an einem Wallfahrtsort Kerzen brennen liess. Mit dem Hinbringen und Entzünden einer Kerze war fast immer das Anheimstellen eines Anliegens verbunden. Dabei wurden die Armen Seelen als Fürbitter eingeschaltet. Die Kerze brannte als Dank zu ihrem Trost, da die Gläubigen überzeugt waren, dass das lebendige Licht der Kerze den qualvollen Aufenthalt einer Seele im Fegfeuer verkürzte. Ein besonderes Anliegen war die Bewachung eines Hauses während der Abwesenheit der Bewohner. Man zündete dazu für die Armen Seelen im Haus eine Kerze an. Auch wenn man nach Anrufung der Armen Seelen Hilfe erhalten hatte, zündete man eine Kerze an. Es war vor allem der Samstag, von dem die Leute sagten, er sei sonderbar geeignet, den Armen Seelen mit Kerzenlicht zu helfen.
Viele Leute wussten auch, wo es gut war, eine Kerze anzuzünden, wenn einen das Toggäli plagte. Wer die Gespenster fernhalten wollte, musste Meisterwurz, ein Stück von einer geweihten Kerze und ein Stück Brot unter die Türschwelle legen. Dann fanden die Ungeheuer den Eintritt nicht.
Als Sinnbild für das leidvolle Leben Christi stand das reine Weiss der Kerze. Für christliche Feste galten folglich vor allem weisse Kerzen als würdig. Gelbe Kerzen aus ungebleichtem Wachs verwendete man hingegen bei Trauerfeierlichkeiten, an Busstagen und am Karfreitag.
Im Lebenslauf gläubiger Katholiken tauchte die Kerze an wichtigen Wegmarken immer wieder auf, so etwa als Taufkerze, als Kerze bei der Erstkommunion, als Kerze zur Versehgarnitur am Krankenbett, als Kerze auf dem Grab. Je nach Ort und Zeit fanden sich auch Firm- und Hochzeitskerzen. Insbesondere im bäuerlichen Leben existierte im Jahreslauf eine Fülle von Kerzenbräuchen. Diese sind heute auf einige wenige beschränkt. So kennt das Kirchenjahr mit Mariä Lichtmess (2. Februar) mancherorts noch Kerzenprozessionen und Segnungen von Kerzen durch den Priester.
Die Votivkerze war eine Gabe nach einem Gelöbnis oder eine Anempfehlung. Einzelpersonen oder ganze Pfarrgemeinden, Dörfer oder Städte brachten sie am Wallfahrtsort dar. Solche Votationsakte wurden in persönlichen Belangen, bei Überschwemmungen, Seuchen und Viehsterben durchgeführt. Im Wunsch der Menschen, dem durch die Kerze symbolisierten mystischen Leib Christi anzugehören, lag der Sinngehalt der Votivkerze. Als persönliche Opfer waren Votivkerzen oft von aussergewöhnlicher Grösse, von erheblichem Gewicht und mit handwerklicher Sorgfalt ausgeführt. Grösse und Gewicht rührten daher, dass die Votivkerzen an die Stelle des Votanten, seines körperlichen und geistigen Lebens, traten.
Kerzenlicht begleitete die Menschen von der Taufe bis zur Aufbahrung. Kerzen waren beliebte Wallfahrtsandenken. Oft handelte es sich bei solchen Wallfahrtsandenken um Serienanfertigungen von Modeln aus Holz oder Zinn.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 329 f.; Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 260 ff.; Häner Flavio, Votivplastik, S. 36 ff.
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