Register der Volksfrömmigkeit
Mistel
Grüne Zweige und Misteln wurden während des ganzen Jahres verwendet, um böse Geister, Hexen (als Hexenbesen, Hexenkraut oder Hexennest) oder Blitze abzuhalten, Menschen und Vieh vor Krankheit und Verhexung zu schützen.
Misteln (Mischlä, Mischtälä, Mischtlä) wurden als Vieh- und Ziegenfutter gesammelt, da sie als sehr milchergiebig (mälch) bekannt und dementsprechend geschätzt waren. Auch für die Schweinemast (Syywfüäter) wurden sie gesucht. Die Mistel hatte auch eine profane Bedeutung: Manche Bauern sahen in ihr ein bewährtes Mittel, wenn eine Kuh beim Melken immer ausschlug. Sie glaubten, dass das Tier verhext war, holten eine Mistelrute und schlugen sie ihr dreimal über das Fell. Später wurde das Sammeln von Misteln behördlich verboten, weil damit das verbotene Reisigsammeln praktisch Hand in Hand ging.
Die Mistel hielt nicht nur böse Geister, Blitzschlag und Feuer von Haus und Hof, sondern konnte auch Schlösser öffnen und Schätze finden. Sie galten als nicht verzichtbares Requisit bei Frühlings- und Fruchtbarkeitsfeiern. Die Menschen glaubten, dass durch das Berühren von immergrünen Pflanzen Gesundheit, Segen und Kraft übertragen wurde. Denn in ihnen, davon war man überzeugt, ruhte sowohl Fruchtbarkeit wie Kraft zum neuen Leben – am meisten in immergrünen Zweigen. Was den alten Galliern und Briten ihre Mistel, war bei uns der Tannenzweig, der als Tisch-, Tür- oder Wand-Dekoration, im Adventskranz oder auch als Tannenbaum verwendet wurde: zum einen ein Hoffnungszeichen, zum andern aber auch ein Segenssymbol.
Im Mittelalter setzte man im Alpenraum die Mistel als Medizin gegen Geschwüre, Ohrenschmerzen, Fallsucht, Schwindel und Vergiftungen ein. Sie sollte die Fruchtbarkeit von Menschen und Tieren steigern. Pfarrer Sebastian Kneipp schwor bei Fallsucht, Frauenleiden und Kreislaufstörungen auf Mistelmedizin. Frauen, die vergeblich auf Kindersegen hofften, banden sich einen Zweig um den Hals oder legten ihn unters Kopfkissen. Im Kanton Aargau galt die Mistel als Allheilmittel gegen Kinderkrankheiten, aber nur, wenn sie mit Pfeil und Bogen heruntergeschossen und mit der linken Hand aufgefangen wurde. Als blutdrucksenkende Mittel werden heute Blätter und Zweige der Mistel in Teeform verabreicht. Anthroposophische Ärzte verwenden Mistelpräparate sogar zur Krebsbehandlung.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 416.
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