Register der Volksfrömmigkeit
Der Tod und «d'Teetälä»
Das Volk stellte sich den Tod in einer Menschengestalt vor. Die Frau vom Tod nannte man Tötin oder «d'Teetälä».
Wie oft sich die Gedanken der Menschen mit dem Tode beschäftigten, zeigte die grosse Menge von Todesvorzeichen. Das zufällige Springen eines Glases, eines Spiegels oder einer Flasche bedeutete für manche Leute Unglück und Tod. Auch Tiere und Pflanzen kündeten nach dem Volksglauben den baldigen Hinschied eines Angehörigen. Wenn die «Wiggle», das Weibchen des Waldkauzes, auf dem Hausdach oder in der Nähe schrie, eine Rabe übers Haus flog oder die Hausgrille zirpte, starb jemand im Haus. Ein Todesfall wurde auch befürchtet, wenn der Hund nachts ohne sichtbaren Grund heulte. Die Richtung, in die er klagte, zeigte, wo der Tod eintrat. Überall verbreitet war der Glaube an die Totenuhr, das Klopfen des Holzwurmes, als ernstes Todesvorzeichen. Pflanzen, die aus unerklärlichen Gründen abstarben, regten die Phantasie der Menschen an. Wenn ein Geranienstock vor dem Fenster gelb wurde und abging, starb bald jemand in der Verwandtschaft (auch vom Hauswurz gesagt).
Wenn jemand nach einem Besuch in einem Haus oder Ort beim Weggehen oft und intensiv zurückschaute, lebte er nicht mehr lang, kehrte nicht mehr an diesen Ort zurück. Sah ein Pferd eines Leichenzuges zum Haus des Toten zurück, starb bald wieder jemand aus diesem Haus. Wenn jemand plötzlich seine Gewohnheiten änderte, so sagte man: «Jetzt lebt er nicht mehr lang.»
Totenvogel, Sterbevogel, Totenschreier, Totenlacher, Grabeule, Todeule, Leichehuhn, Totenhuhn, Klagmüetterle – die vielen Namen, mit denen der Steinkauz, die Wiggle (vom althochdeutschen Verb wigla = prophezeien), bedacht wurde, zeugten von seinem unheimlichen Ruf: Unter allen Eulen und Käuzen galt er als der meist genannte Todeskünder. Zahlreich waren die Worte, mit denen man in den verschiedenen Sprachen den Ruf des Steinkäuzchens deutete: «Chumm mit!» oder «Mours, mours!» (stirb, stirb!). Auch in vielen Reimen wurde der Steinkauz als Todeskünder dargestellt: «Wenn d Wiggle schreit, wirsch bald usetreit.», oder: «Schreit e Wiggle bi dem Huus, so gits e Todesfall gly drus.»
Als Leichenvögel galten, schon wegen ihrer Farbe, alle Rabenvögel. Weil Raben und Krähen weitherum als verwandelte Teufel galten, drohte man ihnen dauernd, dass sie ein anderer Teufel, nämlich der Kuckuck, holte, wenn sie nicht von selbst aus der Gegend verschwanden: «Grag-grag, der Gugger chunt, er nimmt di ins Grab!»
Drei Insekten galten weitherum als unheimliche Todesboten. Der Pochkäfer bohrte seine Gänge durchs alte Holz. Als Locksignal erzeugte er, wie sein Name es sagte, feine, tickende Geräusche. In Nachtstunden fielen diese Laute besonders auf, vielleicht während einer Totenwache. Das tickende Geräusch deutete man als Todeszeichen, das Käferchen hiess darum sinnigerweise auch Totenuhr. Gelegentlich zirpte da und dort eine Hausgrille im Gebälk. Hörte man die monotonen Laute aus der Umgebung der Küche, bedeuteten sie Glück. Musizierte das wärmeliebende Heimchen jedoch aus einer Stuben- oder gar Schlafzimmerwand, kündete es den Tod an. Flog nachts, vom Licht angelockt, der Totenkopfschwärmer heran, ahnte man Schlimmes. Die seltsame Schädelzeichnung auf dem Rücken des grossen Falters, die düstere Färbung und die unerwarteten Zirp- oder Piepsgeräusche, die er bei Berührung von sich gab, wiesen ihn als Todesboten aus. Selbst der wissenschaftliche Name des nächtlichen Besuchers – Acherontia – erweckte eine gewisse Beklemmung, erinnerte er doch an Acheron, den Grenzfluss zur Unterwelt.
Nach alter Überlieferung witterten die meisten Haustiere den Tod und zeigten sein Kommen an, allen voran der Hund, der allgemein als geistersicher galt. Auch das Pferd soll Gespenster wittern und sehen. «An dem Haus, in dem bald eine Leiche liegen wird, wollen Pferde nicht vorbei», hiess es bei den Fuhrleuten.
Der Gesunde und vor allem der Kranke hörte die Todeszeichen nicht gern. Sie wurden oft Ursache dafür, dass einer den Arzt aufsuchte oder dass der Priester und Doktor zu einem Überzeitigen gerufen wurden. Es starb selten einer, auch wenn er verunfallte oder aus vollem Leben herausgeholt wurde, ohne die Segnung seiner heiligen Religion. «Am glychä Tag nu het är sy Sach g’macht», tröstete man sich immer wieder. Bei vielen beruhte jenes Glück allerdings nicht nur auf Vorahnung allein, denn wer irgendwie konnte, ging täglich oder wöchentlich zur heiligen Messe und zu den Sakramenten.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 555 ff. Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 20; Müller Josef, Volksglauben aus Uri, in Schweizerische Volkskunde Nr. 8, Basel, 1918, S. 71.
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NACHWEISE
«Und ich lade dich jetzt ein, mit mir zu kommen.“ Da wurde der Sigrist hinter dem Tische gar bleich, und seiner Hand entsank der Löffel; er musste mit, da gab's keinen Pardon; den er zum Mittagessen geladen, es war der harte, der unerbittliche Tod.»
«Vor dem Teufel hatte der Schmied jetzt Ruhe, aber dafür kam nach einigen Jahren ein anderer, der Tod, und führte ihn ab in die Ewigkeit.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 752, 1269.
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«Als man beim Eingang zum Friedhof beim Türli die Gebeine einige Augenblicke abstellte, da fingen sie an zu bluten. Die Grossväter von zwei Erzählern haben es selber gesehen. Warum? Ein Geistlicher, darüber befragt, soll gesagt haben, der Verunglückte sei erst in diesem Augenblick eigentlich gestorben. Er sei dreissig Jahre vor der ihm zum Tode bestimmten Stunde verunglückt.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1070 b.
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«Der Tod und d'Teetälä, diä syget einisch chu bis zur Ortflüeh grad vor Stäg. Und äs Ringli Näfel syg chu' usem Bodä-n-usä, und uff das syg bald einisch 'Pescht nachächu.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 83.
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«Nach vierzehn Tagen vernahmen sie, er sei zu Stans verbrannt worden und habe noch vor dem Tode bekannt, am nächsten dem Tode sei er einmal im Meiental in Uri gewesen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 894.
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«Der Meister erschrak so sehr, dass er tot umfiel.»
«Aber auch der Besitzer sank tot zu Boden.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 49, 331 8.
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«Zu Hause mit dem Heu angekommen, erzählte er den Seinen von dem seltsamen Gehilfen. Da es ihm unwohl wurde, legte er sich zu Bett und liess sich durch den Priester verwahren; in wenigen Tagen war er eine Leiche.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 644.
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«Ein Feckerweib habe ihm – dem Seebi – einmal aus den Linien der Hand geweissagt und hinzugefügt, wenn der Ring (im Wiesland) einmal ganz nahe beim Hause sei, werde jemand daraus sterben ... näherte sich der Ring jedes Jahr dem Hause, und, als er im dritten Jahre nur noch drei Sprünge davon entfernt war, starb im Jahre darauf der Seebi.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 647.
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«Einst wanderten der Tod und seine Frau, die Tötin, durch das Reusstal hinauf.»
«Sie merkten, dass es der Tod und die Tötin waren. Diese stritten miteinander, welches von beiden den Gurtneller Berg heimsuchen müsse.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 82 f und g.
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«Dass Arme Seelen auf den Tod unschuldiger Kinder „blangen“, ist ein im Volk tief eingewurzelter Glaube, der sich auch noch in mehrern andern unserer Sagen ausspricht. Es gilt als ein gutes Zeichen für das Seelenheil eines Verstorbenen, wenn ihm bald eines seiner eigenen unschuldigen Kinder oder Patenkinder oder ein unschuldiges Kind aus der Verwandtschaft oder auch aus dem Hause oder der Gemeinde überhaupt im Tode folgt; der Verstorbene kann dann mit dem Engel in den Himmel auffahren. – Man sagt auch allgemein, jedes unschuldige Kind erlöse bei seinem Tode eine Arme Seele. Auch galt es als gnadenreich, dem Tode eines unschuldigen Kindes beizuwohnen, und ein Grundsatz lautete: Zummänä Chinds-Änd und zunnärä Nywä Mäss sett-mä-n-äs ysigs (äs nyws) Par Schüeh durläuffä.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1153.
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«Endlich findet er einen Toten zuhinterst im Barmen liegend, will sagen einen Verstorbenen, dessen Geist sich hier auf diese Art zeigen konnte.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1110.
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«Der Geist erschien nicht mehr. Aber der Geissbub starb genau ein Jahr später, wie es ihm der Geist gesagt.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 802.
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«Der Bursche gelobte ihm, den Bauer, von dem er wusste, dass er auf den Tod krank sei, aufzusuchen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1111.
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« Auch ein Kräutlein wider den Tod erfand der Teufel.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 285.
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«Einige Zeit nachher wurde der Bursche krank und sagte, er müsse sterben. Das Geefli sig'm d'r d'Nacht erschinä-n- und häig'm mid-ämä Fingerli gwunkä. Ass syg äss scheens Ängäli gsy. Seine Ahnung bewahrheitete sich innert wenig Tagen. Das isch äss Weschberli gsy, äss Chind, wo nah d'r Täuf stirbt, ep's ä wältlichi Choscht gnossä het. Dass gäb näiwä-n-äso scheeni Ängäli, hennt-s alligs wellä ha.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1511.
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«In Altdorf aber vernahm dieser Mann, dass Pfarrer Baumann gestorben sei (1884), und zwar gerade zu der Stunde, da er ihm am Rynächt begegnet war.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1105
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«... kam eine weisse Kugel vom nahen Friedhof her auf ihn zugerollt, grad an sein Schinbein. In drei Tagen war er eine Leiche. Die Kugel aber war der Totenschädel des ermordeten Kameraden gewesen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 99 6.
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«Da sei einmal in seiner Krankheit ein Ehemann vernachlässiget worden und gestorben. Nach seinem Tode kam er jeden Tag und arbeitete im Stalle.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1119.
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«Er (ein Bursche) erschien in einem ganz nassen Kleide und sagte, er müsse noch wie lebend wandlen, bis er seine Zeit erlebt habe; es wären sonst ihm sechzig Lebensjahre bestimmt gewesen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1156 b.
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«Einige Jahre nach ihrem Tode – es mögen jetzt etwa dreissig Jahre seitdem verflossen sein – brannte ihr Haus ab, furchtbar rasch, und als das Feuer die Stube erreicht hatte, sahen die Leute ganz deutlich die verstorbene, geizige Frau, so wie sie im Leben gewesen, mitten in den Flammen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 894.
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VOKLSGLAUBEN
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Kraft aus einer anderen Welt
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in Uri
Walter Bär-Vetsch, Altdorf
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