Register der Volksfrömmigkeit
Taufe
Viele Menschen starben früher in den ersten Wochen nach der Geburt. Im religiösen Sinn galt die Zeit zwischen Geburt und Taufe als die gefährlichste, denn dem ungetauften Kind drohte der Limbus. Die Eltern waren den grössten Ängsten um das Neugeborene ausgesetzt. Die grauenhafte Vorstellung, dass der Teufel das noch nicht durch die Taufe geschützte Kind sogar in den Abgrund der Hölle riss, war riesig.
Der Volksglaube sagte, dass nur getaufte Menschen in den Himmel gelangten. Daher verstand man die Taufe nicht so sehr als symbolische Aufnahme des Täuflings in die christliche Gemeinschaft, sondern als zentraler Moment für das Erlangen des persönlichen Heils. Versagte man einem Kind die Taufe oder liess es ungetauft sterben, so gelangte es lediglich in den Limbus, in die Vorhölle. Die Vorhölle war ein Ort ohne Leid, aber auch ohne die Freuden des Himmels.
Die Kinder wurden möglichst schnell nach der Geburt zur Taufe gebracht, damit man bei einem allfälligen Säuglingstod vorsorgte. In Ausnahmefällen, da ein Kind gefährdet war, wurde es sogar am Geburtstag zur Taufe getragen. Die Furcht, dass ein Kind ungetauft sterben konnte, war gross, vor allem wegen der grossen Kindersterblichkeit. Deshalb gehörte das Taufklistier zur selbstverständlichen Hebammenausrüstung für Nottaufen, wenn die Kinder im Mutterleib schon tot waren. Das geweihte Wasser wurde zuerst abgekocht und anschliessend mit dem Klistier in den Leib der Mutter gespritzt. Es gab auch die Meinungstaufe in Gedanken, d. h. der Taufspruch und das Kreuzzeichen wurden über dem Bauch der Mutter ausgesprochen und angezeigt. Die gegenüber dem normalen Taufritus wesentlich kürzere Nottaufe war bei Lebensgefahr des Kindes auch jedem Laien erlaubt.
Im Normalfall wurde die Taufe selbst noch während des Wochenbetts durchgeführt (zwei bis drei Tage nach der Geburt), so dass die Mutter an der Zeremonie nicht teilnehmen konnte. Nach dem zweiten Taufbuch von Unterschächen (1876 – 1895) wurden in diesen zwanzig Jahren 54 Prozent der Kinder am Tag ihrer Geburt zur Taufe getragen, 44 erhielten die Taufe am zweiten Tag. Lediglich acht Kinder (zwei Prozent) mussten auf den übernächsten Tag warten, und ein einziges Kind erhielt die Taufe erst am vierten Tag. Die Mütter galten in den ersten dreissig Tagen nach der Geburt als unrein und der Teilhabe und des Eintritts in die Kirche nicht würdig. Die Kinder wurden meist von der Hebamme und den Taufpaten zur Taufe gebracht. Taufkleider, ein Taufkissen, die persönliche Taufkerze und Taufandenken unterstrichen die Bedeutung des Taufsakraments ebenso wie die Taufpaten im Sonntagsgewand und das anschliessende Festessen oder besondere Speisen wie Taufbrote. Die Taufpaten waren wichtig als Zeugen der Taufe. Zudem übernahmen sie beim Tod der Eltern eine Ersatzfunktion: Sie verpflichteten sich mit ihrem Amt, für die verwaisten Patenkinder zu sorgen.
In Andermatt wurde am Morgen vor der Messe oder am Abend vor dem Rosenkranz getauft, wobei der Pate im Leidmantel erscheinen musste.
Aus Taufscheinen, Taufbriefen und Taufandenken ging hervor, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch sechs bis acht Wochen bis zur Taufe verstreichen konnten. Bis dahin hatte sich die Mutter von der Geburt erholt und konnte beim Festakt, der nunmehr sonntags vor versammelter Gemeinde stattfand, dabei sein. Als Übergangsritual stellte die Taufe damals wie heute ein Reinigungs- und Integrationsritual dar: Die Taufe wischte die Erbsünde ab, wandelte das Heidenkind in ein Christenkind und integrierte es in die soziale und religiöse Gemeinschaft.
Wenn es zur Taufe läutete (das war in jenem Moment, in dem der Priester dem Kind das Wasser über das Köpfchen goss), wusste man vielerorts im Dorf, ob man einen Buben oder ein Mädchen taufte. Wenn es ein Knabe war, machte der Sigrist beim Läuten einen Unterbruch. An einem Mittwoch hielt man keine Taufe.
Das Taufessen wurde Gschlötter genannt (an manchen Orten Schlottere). Zum Taufessen wurde fast immer auch der Sigrist eingeladen, denn dieser musste ja beim Taufen dem Geistlichen assistieren und die Taufglocke läuten. Die Kosten für das Taufessen und das Trinkgeld für den Sigristen hatte der Götti zu übernehmen. In der Wirtschaft, wo das Taufessen stattfand, hatte die Wirtin in ihrer Privatstube eine Zaine mit Kisseninhalt vorbereitet. Hier lag das Kind während des Essens. War das Geburtshaus unweit der Kirche, brachte man das Kind heim. Der Wöchnerin, die daheim im Bett lag, brachte man etwas vom Essen nach Hause. Wenn das Elternhaus weit entfernt war, gab man vom Taufessen für die Mutter etwas mit heim. Es war Brauch, dass der Götti auch den Pfarrer zum Taufessen einlud. Doch Geistlichen war es seit dem späten 18. Jahrhundert untersagt, an Taufgelagen teilzunehmen (aber es gab Ausnahmen).
Taufe nannte man auch die aus drei Personen bestehende Taufgesellschaft, die mit dem Kind zur Kirche ging. Das waren Gotte, Götti und Schlottergotte. Schlottergotte nannte man die Frau, die das Kind trug. Das war meist die Frau des Götti, später dann die Hebamme. Der Götti ging rechts, die Gotte links der Schlorregotte.
Die Taufe von Tieren galt als grosser Frevel. Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 548 ff. Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 397 f.; Kaiser Lothar Emanuel, Zeichen religiöser Volkskultur, S. 39; Kälin Detta, Zauberwahn und Wunderglauben, S. 40; Lehner Esther, Lebenslauf, S. 39 f.; Muheim-Büeler Josef, Domus, S. 265; Gisler Karl, Geschichtliches, Sagen und Legenden aus Uri, S. 188.
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NACHWEISE
«Da genas die fremde Frau eines Kindes, und der Gatte bat das Ehepaar Infanger, Patenstelle bei demselben zu übernehmen ... Die Gatten sagten zueinander: „Nie würden wir es abschlagen, einem armen Kinde zur Taufe zu helfen.»
«Einmal bekam der eine von ihnen (zwei Burschen) ein Kind und bat den andern, Götti zu sein. Aber der Geizkragen wollte nicht; das koste ihn zu viel, meinte er. Deshalb verzögerte sich die Taufe und das Kind starb ungetauft. Aber jetzt erschien der Teufel dem Geizhals in Hundegestalt und hinterliess dabei die genannten Spuren. In derselben Nacht noch kam der Geizer in das Haus gelaufen, wo das Kind gestorben, und schrie und brüllte: „Taufet, taufet, ich will Götti sein!“ Es nützte nichts mehr, das Kind war tot. – Das war manchem eine Warnung. Es gibt nämlich kein besseres Werk, als einem Kinde zur Taufe, also zu einer christlichen Seele zu verhelfen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 659, 1231.
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«Doch siehe! sie gab sieben Kindern auf einmal das Leben. Natürlich waren sie klein wie Mäuschen. Auf zwei Platten trug man sie zur jeiligen Taufe in die Kirche.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1386 b.
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«Da wurde es ihnen (zwei Kindern) zu langweilig, und als sie ein „Heidoxli“ (Eidechslein) erwischten, tauften sie es mit Weihwasser, das sie in der Pfarrkirche holten.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 888.
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«Im Übermut taufte er seine schöne Trychelkuh im Bache und gab ihr den Namen Brändi.»
«… verschwenderische Senn habe sogar seine schönste, nämlich die Treichlenkuh, christlich getauft und sie Bäbi genannt.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 100 2 b, 102 a.
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«Der Senn ging sogar so weit, ihn zu taufen. Da fing der Bänz an furchtbar zu wachsen.»
«Aus Übermut und Dummheit tauften sie auf einer Alp eine Geiss oder ein Schaf ... Nach und nach wurde ein Gespenst daraus.»
«... Endlich dachte er, es (das Schaf) sollte auch getauft werden, er sei es ja auch. Ging deshalb über Surenenecke hinab nach Attinghausen in die Kirche, allwo er den Taufstein erbrach und Taufwasser nahm. Auf dem gleichen Wege heimgekehrt, taufte er das Lamm nach dem christlichen Glauben. O hätt er das doch um Gottes Willen nicht gefrevelt!»
«Da war ein Geissbub, der ein Lämmchen, das auf dieser Alp zur Welt kam, über alle Massen lieb hatte. Wenn er morgens und abends nach altem Brauch Weihwaser nahm und sich besegnete, tat er solches auch seinem Schäfchen, ja eines Tages ging der Lappibub und taufte es sogar.»
«...wurde ein neugeborenes Lamm, „äs Bänzli“, getauft, das in kürzester Frist zu einem Untier anwuchs, oder auch eine Kröte.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 886, 887, 888, 892, 914.
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«Nach und nach gaben sie ihm (dem Toggel) auch zu fressen, tauften es und trieben Spott.»
«Da machten sie aus Lumpen ein Titti, und dieses Titti haben sie getauft (mündlich: indem sie Wasser über sein Haupt gossen und einer den Götti machte) und ihm den Namen Maria gegeben.»
«Sie machten aus „Chäsbudärä“ einen Tolgg, legten ihm Kleider an, tauften ihn und trieben Unfug; der Senn am schlimmsten.»
«Der Wyssäbodä-Toggel stellte ein Weibervolk dar; sie trieben alle Laster mit ihm und fingen an ihn zu besegnen.»
«... ein Toggeli zusammen und trieben mit ihm allerlei Unsinn und Mutwillen. Sie gaben ihm Alpspeise zu fressen und tauften es zuletzt.»
«Einst machten sie aus Lumpen einen Dittitolg oder, wie man auch sagt, einen Tunsch, Tunggel, Dittitunsch oder Tschungg, trieben mit ihm allen Unfug, strichen ihm Nidel und Milchreis an und gingen so weit, dass ihn der Senn taufte.»
«Sie machten einen Tolgg aus Käsbulderen, legten ihm Kleider an und tauften ihn. Darauf fing der Tolgg an zu reden.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 869, 871 1-2, 874 2, 877, 879, 880 3.
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«Speeter syget duä ganzi Scharä Bsässni chu vo St. Gallä. Aber wisset iähr, wohär dass diä bsässä wordä sind? Diä heig ä Pfahr ids Tyfels Namä tauft!»
«Und dernah hennt-s'ä wirkli i'zogä, und är (der Pfarrer) het bikennt, är heig 'Kind i ds Tyfels Namä täuft, aber zum Glick chemmes nu güetmachä, äs syg nu käis vo deenä gstorbä.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1187 e, 1466.
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«Wie ist dort das Greiss entstanden? Ein Bub und ein Maitli, die daselbst heueten, haben eine Katze getauft, die sie bei sich hatten, weil sie ihnen besonders lieb war.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 889 2.
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«Als das Wybervölchli durch das Stüdäweidli hinauf marschierte, meinten die Beobachter, jemand von den Leuten im Seld komme als Pate von einer Taufeten her, und fragten sich: „Weeles hed ächt da miässa hibsch sy?»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 174 1.
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VOKLSGLAUBEN
DAS NACHSCHLAGEWERK
Kraft aus einer anderen Welt
Zeichen und Handlungen
des Volksglaubens und der Volksfrömmigkeit
in Uri
Walter Bär-Vetsch, Altdorf
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Porträt
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