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Wallfahrt
   
Seit Urzeiten pilgerten, oder – wie es hiess – wallten die Gläubigen zu entfernt gelegenen heiligen Stätten, um Busse zu tun, geheilt zu werden oder für besondere Anliegen zu beten. Bereits im Mittelalter waren grosse Fernwallfahrten bekannt, z. B. ins Heilige Land, nach Rom, zu den Gräbern der Apostel (z. B. nach Santiago de Compostela) oder zum heiligen Nikolaus nach Bari. Entlang dieser Wege bildeten sich eine besondere Infrastruktur mit Herbergen und Hospizen. Wallfahrten ins Heilige Land, nach Rom oder nach Santiago de Compostela galten lange als höchste Form des Glaubenbekenntnisses und Ablasses. Früh waren auch Wallfahrten zur Schwarzen Madonna ins Kloster Einsiedeln oder zu Bruder Klaus nach Flüeli-Ranft bezeugt. Auch anderen Orten wurden – mit oder ohne Segen der Kirche – wundersame Kräfte zugesprochen. So entdeckte im 16. Jahrhundert ein junger Ziegenhirt im Wald oberhalb von Seelisberg ein Marienbild, das bald verehrt wurde und vor dem bis heute zahlreiche Gläubige in der kunstvoll geschmückten Kapelle Maria Sonnenberg die Muttergottes um Hilfe anflehen. Ebenfalls der heiligen Maria weihte die Kirche die Wallfahrtskirche oberhalb von Andermatt. Während des extrem strengen Winters 1720 brachte der damalige Pfarrer an einer Tanne unterhalb des Bannwalds ein Marienbild an, das nach der Überzeugung der Einheimischen das Dorf vor Lawinen schützte. Bereits 1724 wurde an dieser Stelle eine kleine Kapelle gebaut. Bald strömten derart viele Leute zum Gotteshaus, dass man es 1736 vergrösserte. Noch heute werden in der Wallfahrtskapelle regelmässig heilige Messen und Andachten gefeiert.

Die Wallfahrten waren im 14. und 15. Jahrhundert (vor der Reformation) ein Massenphänomen. Dann wurde es ruhiger um die Pilger, bis die gesteigerte Marienverehrung ab dem 18. Jahrhundert einen neuen Wallfahrtsboom zu neuen Wallfahrtsorten auslöste. Nach der Blüte im 18. Jahrhundert räumte ein aufklärerischer Geist mit einigen Wallfahrten auf. Wallfahrten in vergangener Zeit waren normalerweise Fussreisen. Die neuen Verkehrsmittel veränderten im 19. und 20. Jahrhundert die Wallfahrten (heute z. B. mit dem Flugzeug nach Lourdes). Heute ist wieder ein Aufschwung bei den Fusswallfahrten festzustellen, wie dem über Jahre in Etappen absolvierten oder am Stück durchmarschierten Jakobsweg.

Im religiösen Verständnis hatte jeder Mensch Busse zu tun, um das Leiden im Fegfeuer zu verkürzen. Wohlhabendere Gläubige kauften sich Ablassbriefe, von der Kirche ausgestellte Urkunden, die den Käufer seiner Sünden entbanden. Wer sich das nicht leisten konnte, musste entweder das oft komplizierte kirchliche Verfahren zum Sündenerlass durchlaufen oder eine andere Busse tun. Aufgrund der Absolutionsvollmacht konnte ein Sünder durch eine Pilgerreise seine Zeit im Fegfeuer beeinflussen. Aber nicht nur dem eigenen Seelenheil kam die Wallfahrt zugute, sondern auch bereits verstorbene Angehörige konnten aus dem Fegfeuer erlöst werden. Sich Hinbewegen auf ein Ziel, allein oder in einer Gruppe, um am Wallfahrtsort in Kontakt zu treten mit dem Göttlichen, oder in einer Prozession gemeinsam einen Rundgang machen, betend, singend, bittend, waren religiöse Wanderungen. Das Wallen und vor allem das Pilgern galten meist der Ferne und glichen einer weiten Reise. Die Prozession (lateinisch procedere = voranschreiten) spielte sich in der Nähe ab.

Wallfahrten konnten grössere Reisen nach sich ziehen, so etwa die Heiliglandwallfahrt. Doch spielten sich Wallfahrten oft auch in der Region ab. Wo sie nur einen Tag dauerten, war keine besondere Ausrüstung erforderlich.

Anlass zu einer Wallfahrt war alles, was die Menschen bedrückte: körperliche und seelische Leiden, Existenzsorgen, Sorgen um Verwandte und Freunde. In unseren ländlichen Verhältnissen nahmen die Sorgen um das liebe Vieh, wie es der Bauer nannte, einen breiten Raum ein. Die körperliche Anstrengung einer Wallfahrt war von geistigen Übungen begleitet und steigerte sich auf dem Höhepunkt hin: die Ankunft am Gnadenort, wo Göttliches dem Irdischen nahe war. Nicht nur religiöse Motive, sondern auch willkommene Abwechslung zum Alltag und bisweilen Abenteuer gaben Anlass zu einer Wallfahrt. Kleine Wallfahrten waren im Jahreslauf verankert. Eine ganze Gemeinde oder Pfarrei nahm daran teilt. Oft führte die Wallfahrt zum selben Ort. Es gab solche Nahwallfahrten auch von Einzelpersonen, die damit ein persönliches Gelübde einlösten (Versprechen in einer Notlage): Riedertal, Einsiedeln, Maria Rickenbach, Sarnen mit dem Jesuskind, Flüeli-Ranft mit dem Bruder Klaus und Heiligkreuz- Wallfahrtsorte, die in Gruppen oder von Einzelpersonen an einem Tag besucht wurden.

Es gab Wallfahrten, die in den Familien brauchtümlich waren. In manchen Häusern war etwa eine jährliche Wallfahrt nach Einsiedeln oder Sachseln selbstverständlich. Derartige Pilgerreisen gehörten zu den grossen Familienereignissen. Man sparte sich das Geld monatelang vom Mund ab. Nicht nur jene Person, die die Wallfahrt machte, legte ihre Sparfranken auf die Seite. Die ganze Familie speiste die Wallfahrtskasse. Die Leute betrachteten eine Wallfahrt immer als verdienstbringendes Busswerk. Man legte sich nicht selten freiwillige Kasteiungen auf; man enthielt sich zeitweise von Speise und Trank und tat sogar Bohnen in die Schuhe, um das Gehen zu erschweren.

Oft war es nicht möglich, eine Wallfahrt gleich zu machen, wenn man der Hilfe bedurfte. In solchen Fällen versprach man die Wallfahrt und führte sie bei nächsten Gelegenheit aus (verheissen). Nicht selten kam es vor, dass Leute eine Wallfahrt unfreiwillig machten. Meist waren es solche, die sich ein Vergehen hatten zuschulden kommen lassen.

Private und gemeinsame Wallfahrten finden in Uri nach wie vor statt – insbesondere zur Pfarrkirche nach Schattdorf, zur St. Onophrius-Kapelle in Attinghausen, zur Riedertal-Kapelle in Bürglen, zur Jagdmatt-Kapelle in Erstfeld, zur Steibenwald-Kapelle in Gurtnellen, zur Marien-Kapelle in Getschwiler, Spiringen, und zur St. Anna-Kapelle in Schwanden, Unterschächen.

Wie manche der christlichen Tugenden und Tätigkeiten sind auch die Wallfahrten in anderen Religionen üblich: Die Juden begeben sich drei Mal jährlich zum Tempel von Jerusalem; jeder gläubige Muslim soll im Verlauf seines Lebens Mekka besuchen. Wallfahrten gibt es auch im Hinduismus und Buddhismus.

Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 617 ff. Literatur: Schütz Markus, Zeieli – über die Wallfahrtszeichen, S. 78 f.; Bellwald Werner, Wallfahrt und Prozession – betend und bittend unterwegs, S. 71 ff.; Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 430 ff.

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Walter Bär-Vetsch, Altdorf

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Stand der Arbeiten:
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Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 1.6.2019