Register der Volksfrömmigkeit
Agnus Dei
Schützende christliche Anhänger nannte man Agnus Dei (entgegen dem heutigen Sprachgebrauch, der nur die ersten Wachsmedaillons mit päpstlichem Segen so benennt). Die früheren Agnus Dei waren kleine Wachsmedaillons, deren Vorderseite das Lamm Gottes (Agnus Dei, Johannes 1, 29) mit Nimbus und Siegesfahne sowie in erhabener Prägung die Umschrift Ecce Agn(us) Dei qui tol(lit) Pec(cata) Mun(di) zeigte (Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegnimmt). Auf der Rückseite fand sich ein Bild eines Heiligen, das Wappen oder die Signatur des amtierenden Papstes. Am kostbarsten waren jene Agnus Dei, die aus dem geweihten Osterwachs von St. Peter in Rom stammten, mit Katakombenstaub vermischt sowie vom Papst selber gesegnet und verteilt wurden (bis ins 20. Jahrhundert). Seit Papst Clemens VI. (1342 – 1352) hatte nur noch der Papst das Privileg zur Segnung der begehrten Agnus Dei. Während der Aufklärung kamen die Agnus Dei in die Kritik, doch rechtfertigte Papst Pius VI. deren Verwendung. Seit 1752, unter dem Pontifikat von Benedikt XIV., wurde mit dem Wachsplättchen jeweils auch ein gedrucktes Formular mit Erläuterungen zu dessen Wirkung und Gebrauch abgegeben. Als Regel galt, dass der Papst nur im ersten Amtsjahr und dann alle sieben Jahre an gewissen Tagen vor Ostern oder an Mariä Lichtmess die Agnus Dei in seiner Kapelle unter Eintauchen ins Weihwasser segnete und diese an bestimmten Tagen nach Ostern persönlich aushändigte. Ursprünglich verwendete man dafür das Wachs der gebrauchten Osterkerzen, der grossen Nachfrage wegen aber schon bald zusätzliches Wachs, das der Papst zur Verfügung stellte. Dieses heilige Wachs war bei den Menschen sehr begehrt, blieb jedoch vor allem den Kirchen, Klöstern – da und dort als Altarschmuck monstranzartig präsentiert – und einflussreichen Personen vorbehalten. Seit 1608 besassen die Zisterzienser von Santa Croce in Jerusalem das alleinige Recht, diese Wachsmedaillons anzufertigen. Sie galten als ein wirksames Schutzmittel gegen mancherlei Gefahr und wurden, häufig zusammen mit Reliquienpartikeln, zu Heiltumstafeln gestaltet. Das einfache Volk hatte aber vielerorts Gelegenheit, in Gotteshäusern echte Agnus Dei in Reliquiaren zu sehen und zu verehren.
Da nur wenige Leute in den Besitz eines Agnus Dei gelangten, aber viele das segenskräftige Wachs wünschten, entnahmen die Nonnen den Agnus Dei-Medaillons durch Schaben und Erwärmen kleine Partikel und gaben sie an den Klosterpforten ab. Um dem Bedürfnis und Verlangen nachzukommen, selbst auch ein Agnus Dei zu Hause zu haben, wurde später Agnus Dei-Wachs auch zerstückelt oder normales Wachs, allenfalls gemischt mit Chrisam (Salböl) und Balsam, gegossen. Klöster verpackten die Partikel und versahen sie mit einem Zettelchen. So gelangten sie in private Reliquienkästchen und Reliquienkreuzen. Damit man das heilige Wachs an mehr Menschen abgeben konnte, wurden Wachspartikel in Holz- oder Metallkapseln, Anhänger, Fingerringe, gestickte und verzierte Stoffbeutelchen und -täschchen (u. a. Tiifelsjägerli genannt, ein Hinweis auf die Art des Schutzes, den man von ihnen versprach) verarbeitet und den Gläubigen zugänglich gemacht.
Agnus Dei im weiteren Sinn waren nicht immer aus Wachs, sondern auch aus Gold, Silber oder aus gegossenem Blei. Verbreitet waren auch Anhänger, die ein Stück Wachs aus einem echten römischen Agnus Dei enthielten – eine Quasi-Reliquie. Mit der Zeit trugen die Anhänger immer öfter andere Motive als das Lamm Gottes (Agnus Dei) oder sie enthielten kein Agnus-Dei-Wachs mehr. Dennoch hielt sich der Begriff Agnus Dei für religiöse Amulette aller Art. Sie hatten in der Sakramentalienwelt die Position der heutigen Kreuzchen und Kruzifixe inne.
Dem Agnus Dei wurde Wirkung als Heiltum gegen den Einfluss des Bösen, gegen Naturkatastrophen, Unwetter und Krankheiten zugeschrieben. Man trug Agnus Dei seit dem 19. Jahrhundert als Stoff- und Blechanhänger gegen Feuer, Teufel, Dämonen, Pest, Reiseunfälle, hinfallende Krankheit (Epilepsie), schwere Geburten und einen jähen Tod. Um sie ständig bei sich tragen zu können, kamen im 19. Jahrhundert auch Stoff- und Blechanhänger als Agnus Dei auf.
Wahrscheinlich lebte diese Variante des Agnus Dei als christliches Amulett in der Bezeichnung Deli oder Amedeli für Trachtenschmuck weiter.
Autor: Walter Bär-Vetsch, Volksfrömmigkeit, S. 24 f. Literatur: Janz Karin, Wachs, S. 29; Wunderlin Dominik, Mittel zum Heil, S. 10 f. Kälin Detta, Zauberwahn und Wunderglauben, S. 34; Schütz Markus, Gebrauchsgegenstände zum Glauben, S. 125 f. Senti Alois, Das brauchtümliche Beten, S. 74; Watteck Arno, Amulette und Talismane, S. 62.
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NACHWEISE
«... In Gurtnellen und wohl auch anderwärts hat man früher, um das Toggeli von den Kindern fern zu halten, Malefizpulver unter das Kissen gestreut und ein Agnus Dei oder ein „Lysäpunggeli“ oder beides zusammen zu Häupten des Kindes an die Wiege gehängt ...»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1438.
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in Uri
Walter Bär-Vetsch, Altdorf
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