Register der Volksfrömmigkeit
Betzeitläuten, Betenläuten
Das abendliche, morgendliche und mittägliche Betglockenläuten war im Volksbrauchtum von tiefgreifender Bedeutung. Dabei ging es weniger um das Läuten selbst als vielmehr um die mit dem Läuten gesetzten Zeitmarken. Die genauen Zeiten des Läutens veränderten sich jahreszeitlich und regional. Abends wurde zwischen 18.00 Uhr und 19.30 Uhr geläutet. Bei der Ertönen der Mittagsglocke bestand die Sitte, die Arbeit zu unterbrechen und den Englischgruss zu beten.
Das abendliche Betglockenläuten ordnete nicht nur das Einhalten einer guten Sitte an. Es gab eine immaterielle Umwelt, die ihre Rechte forderte. Am Abend nach dem Betzeitläuten hatten die Geister bis zum morgendlichen Betzeitläuten das Recht, auf das offene Land, auf Wiesen, Äcker und Wälder, nicht aber auf Strassen, hervorzukommen. Kindern sagte man, dass nach dem Betzeitläuten die bösen Gestalten kamen. Es galt als strenges Gebot, dass Kinder beim Betzeitläuten schleunigst nach Hause gingen. Waren sie weiter von zuhause entfernt, hatten sie es so einzurichten, dass sie beim Betzeitläuten zuhause waren. Geistliche und Lehrer hatten ein wachsames Auge darauf.
Erwachsene Menschen wussten, dass das Betglockenzeichen den Geistern Freipass verlieh. Zwischen den beiden Betzeitläuten am Abend und am Morgen hatten die Geister freie Bahn. War die Hochzeit bekannt gegeben, so wagte sich eine verkündete Person abends nach der Betglocke ohne Not nicht mehr allein über die Dachtraufe hinaus ins Freie, denn jetzt war sie bösen Geistern mehr als sonst ausgesetzt. Die von der Kanzel Verkündeten wussten, dass das Betglockenzeichen den bösen Gestalten im Freien Macht über sie verlieh. Während dem abendlichen und morgendlichen Betzeitläuten machten sich auch die Armen Seelen bei den Lebenden bemerkbar und verstorbene Kindbetterinnen kamen zurück.
Die Satzungen verboten, morgens vor dem Betläuten in die Planken zu steigen und mit dem Wildheuen zu beginnen.
Autor: Bär-Vetsch Walter, Kraft aus einer andern Welt, S. 94 ff. Literatur: Hersche Peter, S. 195; Renner Eduard, Goldener Ring, S. 63; Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 82.
Foto: Glockenturm Fremdenspital Altdorf (Rolf Gisler-Jauch, 2019).
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NACHWEISE
«Niemals soll man abends nach Betenläuten im Hausgang die Türen gegeneinander offen lassen, sonst haben die Geister das Recht des Durchpasses.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1162 e.
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«Der Hund verharrte in seiner Lage, der Hans in seiner drohenden Haltung bis morgens zum Betenläuten. Beim ersten Chlank der geweihten Glocke verschwand das unheimliche Tier.»
«Als es aber zu Bristen in der Frühe zu beten läutete, verschwand das Tier gleich beim ersten Klang, ...»
«... mit seinen zwei feurigen Augen unverwandt gezündet bis zum Morgenbetenläuten.»
«... d'r Seppi häig mid-em 'kriëget bis am Morged zum Bättälyttä und bim erschtä Chlank syg-er verschwundä, der Bock.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 493, 494, 499, 115 und 557.
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«Erst am Morgen, als es anfing beten zu läuten, ging das unheimliche Weibervolk weg.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 789.
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«... es tauchte ein Reiter mit weissgeschiltetem Ross auf und sprengte in scharfem Galopp auf dem Fusspfad der Reuss entlang dem Hohen Weg zu und wieder zur Brücke zurück, und so beständig hin und her, bis es am Morgen zu beten läutete.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 851.
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«... und beide ringen miteinander und zerren sich, bis am Morgen beim ersten Klang der Betglocke der Unbekannte plötzlich nicht mehr zu sehen ist.»
«... kam nicht mehr unter seinem ausdauernden Widersacher weg, bis am Morgen zu Seelisberg die Betglocke läutete. Mit deren erstem Ton war der Unbekannte verschwunden.»
«Ohne Kopf! sei dann heruntergesprungen und habe mit dem tapfern Silener geschwungen bis zum ersten Klang der Betglocke am Morgen.»
«So kämpften sie miteinder bis zum Betenläuten am Morgen.»
«Da fing es in Attinghausen an Ave zu läuten. Mit dem ersten Klang der Glocke verschwand das Gespenst.»
«Aber morgens mit dem ersten Ton der Betglocke war der unbekannte Angreifer plötzlich verschwunden.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 759, 765, 766, 767, 768, 769.
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«Erst morgens beim Betenläuten kam er in seinem Hause an, das keine Viertelstunde von der Brücke entfernt war.»
«Am Morged, wo's z'Brischtä z'bättä g'lyttet het, hed-er-si düe erchännt, und da isch er z'obrisch i dä Wydästüdä-n-obä g'standä, eppä-n-äs Viërtelstindli ob d'r Läuwi obä.»
«... und wenn es am Morgen zu beten läutete, standen sie auf dem Punkte, von wo sie in die Irre geführt worden.»
«.... sucht eines Morgens vor Betenläuten den gewohnten Pferdestall auf, um die Pferde zu hirten. ... bis er nach mehr als einer Stunde auf der Seedorfer Reussbrücke, etwa fünfzehn Minuten von seinem Hause entfernt, beim ersten Klang der Betglocke sich zurechtfindet.»
«... ohne je zu wissen, wo er sich befand, und als es am Morgen zu Spiringen zu beten läutete, stand er zu Hergerig auf der Bsetzi vor Ratzigers Gaden.»
«... Erst am Morgen beim Aveläuten trafen sie einander wieder beim Schluchenkreuz.»
«... fuhr es aus der Taltiefe bis in das hochgelegene, schwer zugängliche Hornloch hinauf, und erst am Morgen, als es in der St. Jakobskapelle im Grosstal zu beten läutete, fand er sich zurecht und konnte wieder zutal hinabsteigen.»
«... und als es am Morgen zu beten läutete, stand er immer noch neben dem Stein.»
«... schon manchen Wanderer in die Steingand hinauf oder sonstwie in die Irre geführt, bis ihn der Klang der Betglocke am Morgen befreite.»
«Sie ging tyli-tyl, und als es um sechs Uhr in der Kapelle an fing zu beten zu läuten, merkte sie erst, dass sie immer um den Stein herumgelaufen und keinen Schritt weiter gekommen war.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 534, 538, 678 1, 2 und 5; 686 3 und 4; 690 und 754, 865 14.
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«Dië Chind, wo nu nah Bättälyttän ummägluffä sind, häig-er hei 'tribä.»
«Andere Erzähler behaupten, das Böse habe Gewalt bekommen über das Kind; das sei oft vorgekommen, dass Kinder, die nach Betenläuten strafweise vor die Haustüre gestellt worden, verschwunden seien.»
«Als vor einigen Jahren eine Frau Huser in der Vorstadt zu Altdorf ihrem Kind laut drohte, sie wolle es, wenn's nicht recht tue, vor das Haus hinausstellen, obschon es schon zu Beten geläutet hatte, eilte die Nachbarsfrau herzu und mahnte sie dringend davon ab, solches zu tun, wenn sie das Kind nicht verlieren wolle.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 827 2, 1543.
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«Die laute Lustbarkeit dauerte gewöhnlich bis zum Betenläuten am Morgen; dann zerstreute sich die Gesellschaft in die benachbarten Häuser.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 341 1.
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«Man räumte ihnen (den Armen Seelen) eine Stunde nach Betenläuten ein zum Umzug.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1013 b.
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«Als er nach Betenläuten den Chor wieder betrat, ...»
«Nach Betenläuten: Das Bätt-Toggäli oder Toggäli. Man droht den Kindern damit, dass sie schlafen.»
«... sahen abends, wenn es anfing zu dunkeln und es zu beten geläutet hatte, ...»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 509, 817, 829,
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«„Jää, nah Bättälyttä sell-mä keiner Chatz nymeh z'leid tüe,“ belehren warnend die Alten.»
«Jäh, das het's yser Läbtig g'heissa: Nah Bättgloggä sell-mä mit keiner Chatz nië nymeh z'tüe ha.»
«Er solle sich nach Betenläuten auf den Weg machen, zu bestimmter Zeit an jener Stelle sich einfinden, die Katze auf seine Schulter springen lassen, sie bis zum andern Punkt tragen und dort bleiben, bis es am Morgen Ave läute.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 244 2 und 533 1, 1132.
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VOKLSGLAUBEN
DAS NACHSCHLAGEWERK
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in Uri
Walter Bär-Vetsch, Altdorf
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