Uff dä Alpä obä isch äs herrlichs Lääbä ...
DAS ÄLPLERLEBEN IM BRAUCHTUMSJAHR VON KARL ITEN
Juni - Alpaufzug
«Noch liegt das Gebirge grau in grau im fahlen Morgenlicht. Aber auf allen Wegen und Pfaden regt es sich, und Hunderte von Tieren streben in Gruppen und Grüppchen der Passhöhe zu. Wann war das wohl, als die erste Herde hier durch auf die Alp hinüberzog? In der ewigen Wiederkehr dieses Ereignisses spüre ich den ruhigen Pulsschlag der Jahrhunderte, ahne ich die regelmässigen Gezeiten, die das Leben aller Kreatur durchfluten.
Für einmal ordnet sich sogar der nervöse Autoverkehr dem alten Brauche unter: Die Passstrasse gehört den Tieren, und das blecherne Gebimmel der Schellen und Treicheln will heute nicht mehr enden. Noch lange, nachdem es verklungen ist, bleibt mir der rhythmisch gegliederte Klang im Ohr.»
Iten Karl, Das Urner Jahr, Eine volkskundliche Holzschnitzfolge in einzelnen Bildern, Altdorf 1966.
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Juli - Heuernte
«Jetzt quillt das Licht in unbändiger Fülle in die düstersten Winkel der durchschatteten Täler. Im grünen Gold der Wiesen summt und zirpt und flirrt es von tausendfältigem Insektenleben. Sensen und Sicheln fressen sich gierig durch die saftigen Gräser. Auf den „Heinzen" verströmt das Heu seinen kräftigen Geruch in die laue Luft des Hochsommers. Jedoch: Diese kurze Jahreszeit gehört hier nur dem müssigen Wanderer. Für jene, die an diesen Hängen wohnen, ist sie nichts anderes als eine kurze Vorbereitung auf den nächsten Winter. Schwer beladen und mit schwankendem Schritt trägt der Bauer die köstliche Heubürde in seinen Gaden. Dann verschnauft er eine Weile. Er wischt sich den Schweiss mit dem Handrücken von der Stirne. In seinem dichten Bart steckt ein strohgelber Grashalm.»
Iten Karl, Das Urner Jahr, Eine volkskundliche Holzschnitzfolge in einzelnen Bildern, Altdorf 1966.
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August - Alpsegen
«Mit der hereinbrechenden Nacht wachsen die formlosen Schatten ins Unermessliche. Der Senn tritt aus der Hütte, wo der grosse, gelbe, vollmondrunde Käse, den er gemacht hat, vom Steine beschwert austropft. Mit altertümlichem Tonfall ruft der Aelpler durch die Volla die bannenden Worte in die Runde: ,,Hier, auf dieser Alp, da liegt ein goldiger Ring, da wohnt diä liäb Müätter Gottes mit ihrem herzallerliäbschte Chind!"
Als Antwort der gebannten finsteren Mächte kollert fern am Hang mit hell klapperndem Laut ein loser Stein über das lockere Geröll. Dann folgt eine lastende Stille, die drohend aus dem Dunkel starrt. In dieser ungewissen Bedrängnis kann das Schnaufen der Tiere zum tröstlichen Laut und zur stillen Gewissheit des Geborgenseins werden.»
Iten Karl, Das Urner Jahr, Eine volkskundliche Holzschnitzfolge in einzelnen Bildern, Altdorf 1966.
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September - Viehmarkt
«Im Dorf ist heute Viehmarkt. Schon früh am Morgen kommen die Verkäufer mit den ersten Kühen und binden sie an die schweren Eisenstangen. langsam füllen sich die Reihen mit muhenden, stampfenden, drängenden Tieren. Die schwarzweiss-braun gefleckten Sennenhunde mit den geringelten Schwänzen trippeln aufgeregt hin und her. Unter den alten Bäumen haben die Händler ihre Ware ausgebreitet: messingblanke Kuhglocken, deren neue Lederteile im Licht des heiteren Herbsttages glänzen, dicke Bündel von Stricken und andere nützliche Dinge. Der kräftige Geruch der Tiere füllt das weite Viereck des Platzes. Die Bauern stehen – die Hände in den Hosensäcken – in Grüpplein zusammen. Sie betrachten das Vieh mit Kennerblick, loben es, tadeln es und überlegen es sich zweimal, ehe sie ein Stück verkaufen und in fremde Hände geben. Die Kühlein auf ihren silberbeschlagenen Pfeifen, die in ihren Mundwinkeln baumeln, blitzen in der milden Herbstsonne.»
Iten Karl, Das Urner Jahr, Eine volkskundliche Holzschnitzfolge in einzelnen Bildern, Altdorf 1966.
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Oktober - Metzgätä
«Jetzt ist der ganze Hausstand wieder versammelt. Tier und Mensch sind von der Alp zurückgekommen. In den Gässchen zwischen den steinernen Ställen schert man die blökenden Schafe. Und dann kommt der langersehnte Tag der „Metzgädä": Im Freien werden die Schweine, Schafe und Ziegen geschlachtet. Dunkel schiesst das warme Blut in die bereitstehenden Becken. Wie altes Elfenbein schimmern die Sehnen auf dem roten Fleisch der enthäuteten Körper.
Manches Fleischstück wandert in den Kamin, und gerne verheizt man Wacholderholz, damit das Rauchfleisch ein besonders würziges Aroma bekomme.
Wie liebe ich diese Zeit! Und doch birgt sie in ihrem Kern schon den Keim des Verfalls. Denn weit weg, in einem fernen Himmel, liegt die Ahnung von frühem Schnee und von einem langen Winter.»
Iten Karl, Das Urner Jahr, Eine volkskundliche Holzschnitzfolge in einzelnen Bildern, Altdorf 1966.
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DAS ÄLPLERLEBEN BEI KARL FRANZ LUSSER
Der Urner Geschichtsforscher Karl Franz Lusser (1790-1859) beschrieb das Älplerleben um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Er bezeichnet die Alpen als den Lieblingsaufenthalt des Landmanns: «Er fühlt sich da doppelt frei und reich; er schwelgt in den Erzeugnissen seines Viehs, Milch, Rahm, Käse und Butter, und ist voll Hoffnung durch den Erlös des Ueberschusses sich für die übrige Jahreszeit seinen Unterhalt zu sichern, wenn nicht der Jahreszeit ganz widersprechende Witterung seine süssen Träume stört.»
Er zeichnet ein erhabenes Schauspiel, n der Begegnung des empfindsamen Menschen mit der grossartigen Gebirgslandschaft: «Aber nicht ohne Ursache freut sich der zufriedene Landmann; wer möchte sich bei schönem Wetter in der erquickenden Alpenluft nicht freuen? Umhaucht von ambrosischen Düften kräftiger Alpenkräuter, umschimmert vom bunten Teppich glänzender Blumen, über welchen tausentfältige Gestalten von Insekten schwärmen. Wer wollte sich nicht freuen? wenn rings umher die Felsen das harmonische Geläute weidender Heerden, und das Jauchzen froher Hirten wiederhallen.»
Anderseits zeigt sich auch die Rauheit der Natur: «Aber freilich, wenn zuweilen mitten im August kalte dichte Nebel herumstreichen, wohl gar ein beissend kalter Wind Schneegestöber vor sich hin jagt, während wenige tausend Fuss tiefer im Thale der Sommer glüht, oder warmer Regen fällt, so verliert das Alpenleben seinen Zauber und gerne steigt der Thalbewohner wieder der Tiefe zu.»
Die Alphütte stand an einem sicheren Standort in der freien Natur. Sie war in der Regel von tiefem Morast umgeben. Sie wurde vom Senn, Zusenn und Handknab bewohnt. Bei schlechtem Wetter war sie auch Zufluchtsort für das Vieh. Vielfach dienten um die Alphütte Steinplatten als Standort für spezielle Tätigkeiten, so die Holzplatte, die Tanzplatte (sofern Damenbesuch) und die Sennenplatte, auf welcher der Alpsegen gerufen wurde.
Der Senn hatte die Oberaufsicht, machte den Käse, trug diesen in den Speicher und salzte diesen dort ein. War er Vieheigentümer alpte er auf eigene Rechnung, ansonsten arbeitete er für einen Lohn (39 bis 40 fl.). Der Zusenn, auch Handknab und Dinnerer bereitete den Zieger, reinigte die Geschirre, schaffte das nötige Holz herbei und half dem Senn, wo es nötig war (20 bis 30 fl. Lohn). Der Viehhüter, Kühgaumer musste bei grosser Hitze wie bei stürmischem Unwetter das Sennten immer zusammenhalten und achtgeben, dass keine Kuh an eine zu steile gefährliche Stelle sich wagte. Weideten diese an sicherem Orte, so konnte er stundenweise in schöner Aussicht herumliegen, ins flache Land hinausschauen, und nach Herzenslust eins jodeln (mit 13 bis 15 fl. Lohn).
Die Tagesordnung dieser Älpler war fast alle Tage gleich. Morgens vier Uhr erhoben sie sich gewöhnlich «aus dem flöhevollen Rist» und schickten sich zum Melken an; dann wird gekäset, dem Vieh Salz zu lecken gegeben, die Schweine mit Molken getränkt, und auch damit die Geschirre geputzt, aufgeräumt. Nach dem Morgenessen trug der Senn die Käse vom vorigen Tage zum Speicher, besorgt die lagernden Käslaibe.
Je nach Bedürfnis und Witterung half er dann dem Handknab Holzspalten, Wildhensammeln, Grenzmauren ausbessern, herabgerollte Steine wegschaffen (abschonen), Mistschollen zerschlagen. Gegen den Abend begann wie am Morgen das Melken, Käsen, Speisen, Aufputzen und dauerte bis 9 oder 10 Uhr. Nach getaner Arbeit bei anbrechender Nacht geht der Senn vor die Hütte hinaus und ruft durch eine Volle nach allen vier Gegenden sich drehend in der Choralmelodie das Evangelium des heiligen Johannes «Im Anfang war das Wort» und singt den englischen Gruss ab, während dessen die Hirten und oft im Freien übernachtende Wildheuer, soweit der Betruf gehört wird, im Stillen ein paar «Vater unser» und «Ave Maria» beteten. Dieser Ruf ersetzte in den Alpen die Abendglocke, welche in den Tälern zum Dankgebet für den durchlebten Tag aufrief, und diente auch, um von der Nacht überraschte Verirrte zur gastfreundlichen Hütte hinzuleiten. Ist nun alles beendigt, so besteigen die Hirten die «Dühle», wickelten sich in ein Leintuch oder eine «Schnetzeldecke» und warfen sich auf kurzes borstiges Alpenheu, «Netsch» genannt, und «schnarchen in die Wette mit den Säuen, welche sich indess um die Hütte gelagert haben.» Der Kuhgaumer durfte erst zu Bette, wenn die Kühe an sicherer Stelle versammelt sich auch zur Ruhe legten, oder auf der Abendweid in der Nähe der Hütte weideten.
(Angaben zum modernen Älplerleben folgen)
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DAS ÄLPLERLEBEN IM DETAIL
DAS ÄLPLERLEBEN IN DER URNER SAGE
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ÄLPLERLEBEN
WEIDEN UND ALPWIRTSCHAFT
NUTZTIERE
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