GEMEINDEN

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«Das Urner Dorf» von Karl Iten

Seedorf «Welche Wunderwerke menschlichen Schöpfergeistes birgst du in deinen Grenzen! Äusserlich zwar sind sie zierlich und klein; doch wahre Grösse lässt sich nicht mit dem Metermass bestimmen. Beim Eintritt in die Kirche des Nonnenklosters überkommt mich ein Gefühl des Unwirklichen; jubelnd und überschwenglich, überquellend in rankender Fülle, aufrauschend in einem gottseligen Himmelsglauben, umfängt mich die festliche, barocke Lebensfreude, als stände ich in einer grossen Kathedrale. Ich muss sie mit den Schritten ausmessen, um festzustellen, wie klein sie ist. Und erst das Wasserschlösschen! Es besitzt alles, was zu einem Schloss gehört: Schiessscharten, Zugbrücke, Turm und Wassergraben; und doch steht es verloren und spielzeughaft in seiner ländlichen Einsamkeit. Seedorf, dir zugehörig ist das Diminutiv! – Seit langem liegst du nicht mehr direkt am See, von dem dein Name kündet; das Geschiebe der Reuss hat sich hier abgelagert; und ein breiter Streifen braungelben Riedlands dehnt sich zwischen deinen letzten Häusern und dem Ufer. Allerlei Wasservögel nisten dort und stelzen hochbeinig auf und ab. – Heute aber lastet ein winterliches Schweigen, eine klösterliche Stille über dir, kaum unterbrochen durch ein fernes Hundegebell und gedämpften Orgelklang. Ich betrachte still den einsamen Vogelflug im stahlgrauen Winterhimmel, und plötzlich ist in der kühlen Luft ein schwereloses Fallen; weiss legt sich der Schnee auf Dächer und auf Wiesen und verwandelt das schwarz hingetuschte Geäst der Apfelbäume in zartes Filigran. Und sieh nur: Auf einmal wird aus dieser bäuerlichen Landschaft ein brueghelsches Winterbild!» Iten Karl; Eine beschauliche Reise durch den Kanton Uri festgehalten in einer Folge von Linolschnitten und Texten von Karl Iten; Altdorf 1968. -------------------------