GEMEINDEN

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«Das Urner Dorf» von Karl Iten

Unterschächen «Seit Tagen fällt der Schnee, und fällt und fällt, legt sich auf Dächer, Hänge, Halden, verschluckt den Raum, löscht jegliches Gefühl für Tiefe und Distanzen aus. Das Dorf versinkt in Weiss und Grau, der Wind treibt den Schnee wie Rauch über die Hänge, lässt ihn in höllischen Wirbeln kreisen, türmt ihn zu haushohen Wächten auf und ebnet alles ringsum ein. Keiner, den nicht dringende Verrichtung ruft, wird sich jetzt hinaus in diese Hänge wagen; denn höchst gefährdet sind sie von Lawinen! Manch einer liess so schon sein Leben, vielleicht auf dem Gang zu den hungrigen Tieren im Stall, die er zu füttern gedachte, und die er nie erreichte. – Wo ist heute jener unbeschwerte Sommertag, da ich zu Fuss vom Klausen nach Unterschächen wanderte? Und wo ist der fröhliche Gruss der Schulkinder, die mit grossen, braunen Broten in den Armen bergwärts zogen? Gegen Abend, als die ersten Lampen angingen, kam ich im Dorfe an. Die Eismasse der Gräte leuchtete herab, blassblau, ein kaltes Feuer vor dem dunkleren Nachthimmel, in dessen verborgenen Höhlen geheimnisvolle Kristalle zu schimmern begannen. – In der Felswand hinter dem Dorf, so erzählt die Sage, soll in einer Höhle ein Drache hausen, und alle hundert Jahre breche er hervor mit seinem Feuerschweife. Doch heute kann mich solche Drohung nicht schrecken. Im kleinen Gasthaus stellt die Wirtin die einfachen und guten Dinge dieser Erde vor mich hin: das dunkle Brot, den Käse, den Wein. Später packt einer seine Handorgel aus; wie passen die bodenständigen Rhythmen in diese getäferte Stube! Und noch spät in der Nacht vermischen sie sich mit dem einschläfernden Rauschen des nahen Schächenbaches, das tief in meinen traumlosen Schlaf dringt.» Iten Karl; Eine beschauliche Reise durch den Kanton Uri festgehalten in einer Folge von Linolschnitten und Texten von Karl Iten; Altdorf 1968. -------------------------